Evelyn Böhmer- Laufer ist Psychotherapeutin, Familienmensch und Gründerin des Projekts „peacecamp“. Ehrenamtlich veranstaltet sie jährlich ein Zusammentreffen von Jugendlichen verschiedenster Herkunft, um gemeinsam politische Themen aufzuarbeiten, und konstruktiv an der Friedensgestaltung mitzuwirken. Uns hat sie erzählt, an welche Grenzen sie dabei stößt, was sie ermutigt, nie aufzugeben, und wie sich durch ihr Projekt der Frieden fortpflanzt.
Evelyn, neben deiner Tätigkeit als Psychotherapeutin organisierst du jährlich das Projekt „peacecamp“. Was genau ist das?
Das peacecamp ist ein Projekt zur Friedenserziehung und Förderung der politischen Mündigkeit, bei dem sich vier Gruppen von Jugendlichen verschiedener Herkunft treffen. Die Jugendlichen stammen hauptsächlich aus Israel, Palästina, Österreich und Ungarn, und treffen sich für 11 Tage an einem entlegenen Ort in Österreich, um möglichst ungestört und frei von jeglicher Ablenkung gemeinsam am Thema Frieden zu arbeiten! Ein Team von Künstlern, Kunsttherapeuten und vielen anderen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern ermöglichen den jungen Menschen sehr viele positive Erfahrungen im Umgang miteinander, und machen die Kraft der gebündelten Ressourcen sichtbar.
Was passiert in diesen 11Tagen am peacecamp?
Die Jugendlichen bereiten sich schon vorab auf peacecamp vor. Ich stelle ihnen die sogenannten „four questions about peace“, die sich wie ein roter Faden durch das Projekt ziehen. Diese beziehen sich auf die persönliche Bedeutung des Wortes Frieden in ihrem jeweiligen Lebenskontext, auf die Hindernisse die sich dem entgegen stellen und um den bisherigen, sowie zukünftigen Beitrag jedes Einzelnen von ihnen zu einem friedvolleren Leben in ihrem jeweiligen eigenen Lebenskontext. Diese vier Fragen werden am Ende des Projekts erneut gestellt. Außerdem treffen die verschiedenen Gruppen Vorbereitungen in Form von Kultur prägender Kulinarik, Musik, Tänze usw., um sich einander vorzustellen. Dabei setzten sie sich mit dem eigenen Lebensraum auseinander, und lernen gleichzeitig die Merkmale der anderen Kulturen kennen, wobei sie nicht nur die Unterschiede sondern auch die Verbindungen zwischen ihnen wahrnehmen. Weiteres finden verschiedene Workshops statt, die alternierend, lustige, spielerische Elemente, und die Bearbeitung ernster Themen beinhalten.
Was ist das Ziel des peacecamps?
Die Jugendlichen setzen sich mit ihrer Geschichte und auch mit aktuellen politischen Ereignissen auseinander. Dies soll eine Distanz zu den eigenen Konflikten schaffen, und einen Perspektivenwechsel ermöglichen. In der „large group“, in der alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich mit Experten über Erinnerungen, positive wie negative Erlebnisse, Konflikte austauschen, kommt es sehr häufig zu emotionalen Ausbrüchen. Die Auseinandersetzung mit diesen sehr nahegehenden Themen sind zum Teil geprägt von Streit und Tränen; interessant ist, dass oft Probleme und Konflikte ungelöst im Raum stehen bleiben, dass aber die Jugendlichen in den darauf folgenden Workshops in gemeinsamer Kreativität und gemeinsamen Austausch wieder zu einander finden.
Das peacecamp ist auch eine gute Gelegenheit für einen Realitätstest. Die Jugendlichen merken, dass sich nicht alle Vorurteile der anderen Kultur gegenüber bewahrheiten; manches aber, was man über die jeweils anderen wusste oder dachte findet in der realen Begegnung Bestätigung. In jedem Fall lernen sie viel übereinander – über jede/n Einzelne/n von ihren, sowie über die teilnehmenden Religionen, Nationen und Länder. Die Erfahrungen beruhen auf einem Stück Realität, und nicht nur auf Erzähltem, was besonders zu bleibenden Eindrücken verhilft.
Wer nimmt am peacecamp teil, und wie kommst du zu den teilnehmenden Jugendlichen?
Ich stehe in engem Kontakt mit vielen Schulen, in denen ich auch das Projekt vorstelle. Die Organisation und Vorbereitung für das peacecamp wird dann vor Ort von einer Kooperationsperson, meist Lehrpersonal, durchgeführt, die auch die Auswahl der Schülerinnen und Schüler trifft. Die Kriterien für die Teilnahme am peacecamp sind die Bereitschaft, die im Vorfeld verlangten Vorbereitungen zu machen, die „four questions“ zu beantworten und Material für den Workshop „talks4peace“ bereit zu stellen, sowie die Bereitschaft, am peacecamp auf Englisch zu kommunizieren.
Es ist wichtig, Kinder zu mündigen, autonomen Bürgern zu erziehen.
Was war für dich der ausschlaggebende Punkt dieses Projekt umzusetzen?
Ich habe selbst 20 Jahre in Israel gelebt, und mich in der „peace-now“- Bewegung politisch sehr für bessere Gesellschaftsformen engagiert. Die Gruppe wurde damals von intellektuellen, politischen Menschen initiiert, mit der Illusion des bald eintretenden Friedens. Leider war es mit der Ermordung Rabins 1995 kaum mehr möglich den Friedensprozess weiterzuführen. Diese Machtlosigkeit hat mich zermürbt, und ich hatte das Bedürfnis, jungen Menschen ein Werkzeug in die Hand zu geben, um mitzubestimmen und zu verändern. Frieden ist kein Phänomen, das über uns kommt, sondern muss täglich gepflegt werden. Jede und jeder von uns kann täglich etwas dazu beitragen, um den Frieden zu gestalten; ganz wichtig ist es, Kinder zu mündigen, autonomen Bürgern zu erziehen, die diesen Gedanken weitertragen.
Du hast erwähnt, dass es sehr oft zu emotionalen Ausbrüchen kommt. Wie gehst du damit um?
Mir kommt natürlich meine Tätigkeit als Psychotherapeutin in diesen Situationen sehr zu Gute. Die Kinder bringen sehr viel Material mit, an dem man nicht vorbei kommt, und gehen sehr oft an ihre Grenzen. Mir gehen diese Momente sehr nahe, und bin auch vor Tränen nicht gefeit. Das ganze Projekt ist ja mit einem therapeutischen Blick konzipiert, und lädt dazu ein, Konflikte als Resultat einer bestimmten Entwicklung anzusehen, zu erfahren wie diese entstanden sind, und aufgelöst werden können. Ähnliches passiert bei mir in der therapeutischen Praxis. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass ich es mir am peacecamp erlaube, meine eigenen Emotionen zu leben, während ich mich in meiner therapeutischen Arbeit bedeckt halte.
Welche Erfahrungen gab es diesbezüglich?
Als letztes Jahr im Sommer die Entführung und Ermordung dreier israelischer Jugendlichen, die darauffolgende Entführung und Ermordung eines palästinensischen Jungens und die resultierende erneute Eskalation am Gazastreifen, fast zeitgleich mit peacecamp geschehen ist, war der Aufenthalt sehr stark von diesem Thema geprägt, ebenso auch 2006, als zur selben Zeit der Libanonkrieg ausgebrochen war. Es sind immer konkrete, aktuelle Geschehnisse, wie auch gegenwärtig die Flüchtlingsströme, die thematisiert werden, und für alle Beteiligten oft sehr schmerzvoll sind. Aber um genau diese Auseinandersetzung geht es, damit nachhaltig aus den Fehlern der Geschichte gelernt werden kann.
Welche Unterschiede innerhalb der Gruppen konntest du feststellen?
Im Unterschied zu unseren Jugendlichen sind Israelis und Palästinenser stark politisiert und können gut debattieren. Sie kennen sich sehr gut mit der Politik des eigenen Landes aus, weil sie realitätsbestimmend ist. In Österreich und Ungarn beschäftigen sich Jugendliche mehr mit Fragen, die Jugendliche beschäftigen – Politik ist nicht für jeden von ihnen ein Thema.
Jedes Jahr sage ich mir: Jetzt ist es das letzte Mal!
Hast du jemals an deinem Projekt gezweifelt?
Ja! Jedes Jahr im Frühling, am Höhepunkt der Vorbereitungen, stoße ich an meine persönlichen Grenzen, und habe den Eindruck, neben meiner Familie und der Berufstätigkeit, nicht mehr alles unter einen Hut zu bekommen. Jedes Jahr sage mir: „Jetzt ist es das letzte Mal!“
Was ermutigt dich dazu, weiter zu machen?
Mein Mann lacht schon über mich wenn dieser Moment kommt, und sagt, er würde mich im August nochmal befragen. Er gibt mir sehr viel Kraft und bietet mir großartige Unterstützung, ohne die vieles nicht möglich wäre. Wenn ich dann sehe, mit welchem Engagement und Authentizität die Jugendlichen am Projekt teilnehmen, dann kann ich nicht aufhören. Es ist für mich wie ein Baby, dass ich großgezogen habe. Eine ehemalige Teilnehmerin schrieb mir nach einigen Jahren eine Mail mit den Worten: „I only want to tell you, that I am not sure I thanked you enough, and I wish that I grow to become a person, who does for others as much as you did for me!” Es ist ein unbeschreibliches Gefühl zu wissen, dass sich die Ernte des Projekts multipliziert, und viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigene Projekte starten.
Planst du auch weitere Projekte, die du gerne umsetzten möchtest?
Ja, das gibt es tatsächlich ein Projekt, für dessen Umsetzung ich jedoch bisher noch keine Zeit gefunden habe. Sehr gerne würde ich ein Treffen organisieren, an dem alle bisherig teilgenommenen Personen zusammentreffen, um sich auszutauschen, ihre eigenen Ideen und Projekte präsentieren, und um zu publizieren, dass sie ihre erlernten Werkzeuge auch umsetzen. Es steckt sehr viel Arbeit dahinter, Zeitmanagement und Durchhaltevermögen sind notwendige Kompetenzen, zumal ich und viele Mitarbeitende neben ihrer Berufstätigkeit am Projekt peacecamp ehrenamtlich tätig sind.
Das Fundraising ist sehr mühsam.
Wie finanziert sich das Projekt peacecamp?
Das Fundraising ist sehr mühsam. Wir haben einige Sponsoren, die uns unterstützen: die EU (Erasmus + Jugendinaktion), eine private Stiftung, das Bildungsministerium, die Stadt Wien (WienExtra), das Land Niederösterreich, doch erfahren wir immer erst sehr spät, ob und wieviel Zuschuss wir bekommen. Das bedeutet jedes Jahr ein großes Zittern, da wir das peacecamp sehr frühzeitig planen müssen und für diverse Buchungen (Unterkunft, Flugtickets, etc.) mit unserem Namen bürgen. Der finanzielle Beistand aus dem Zukunftsfond wurde uns leider gestrichen. Ich gehe quasi mit dem Hut herum, schnorre Freunde und Bekannte an und bin für alles dankbar. Wir suchen vom Tennisball bis hin zum Bierfass viele Dinge für unsere Workshops, die wir großteils über Facebook und Co. lukrieren können, das ist wunderbar. Natürlich begegne ich aber immer wieder Menschen, die mein Engagement belächeln, und abfällig kommentieren.
Verletzen dich solche Bemerkungen?
Nein! Denn genau wegen Menschen, die zynisch sind, kritisieren, selbst aber nichts tun, mache ich so ein Projekt.
Man sollte immer authentisch bleiben und leben, wofür man einsteht.
Siehst du dich selbst als Heldin?
Ein bisschen schon – als Heldin in Friedenszeiten! Ich versuche so zu leben, wie meiner Meinung nach Menschen leben sollten. Es muss aber niemand etwas tun, was für ihn oder sie nicht stimmig ist. Man sollte immer authentisch bleiben und leben, wofür man einsteht. Auch wenn ich oft angegriffen wurde, merke ich, dass ich mittlerweile Respekt und Anerkennung bekomme, wofür ich einstehe: für eine bessere, friedvolle Gesellschaft!