Wie wahrscheinlich ist es, im Internet seine große Liebe zu finden?
Ich meine, nicht weniger wahrscheinlich als beim Spaziergang mit dem Hund oder im Job. Nicht weniger wahrscheinlich als irgendwo anders auf dieser Welt.
Mit einem Unterschied: Der Wahrscheinlichkeit kann man online schön unter die Arme greifen.
Wir verbringen gut die Hälfte unseres Tages online. Wir stolpern frühmorgens mit dem Handy in der Hand aus dem Bett, ins Bad, in die Küche oder aufs stille Örtchen. Rote Ampeln, Staus und andere Banalitäten, die uns zum Warten verdonnern, werden gerne genutzt. Dann wird aufs Display gegafft, wird getippt, gewischt und gestikuliert.
Beim Autofahren ist unser Multitasking-Talent gefragt: Wartend an der Ampel, tippend auf dem Smartphone – bis der Hintermann auf die Hupe trommelt, weil wir es vor lauter „Interesse“ am virtuellen Gegenüber verabsäumen aufs Gas zu steigen. Der nervöse Blick in den Rückspiegel, lächelnd aber, weil wir wieder einmal meinen, die nächste große Liebe gefunden zu haben. So geht das weiter. Im Büro, in der Pause, vor dem Sport, nach dem Sport, am Abend, beim Essen, mit Freunden und Familie.
Kurz um: Wer ehrlich zu sich selbst ist, muss zugeben, dass der virtuelle Raum schon verdammt real geworden ist. Dass man schnell eine persönliche Bindung aufgrund von Fotos und Texten herstellt und jeder rasch zum Best Buddy oder zur Traumfrau wird.
Da fallen mir Fanta4 ein, die da sangen:
„Denn wir stehen drauf, wir gehen darauf, für ein Leben voller Schall und Rauch. Bevor wir fallen, fallen wir lieber auf“ Mit freundlichen Grüßen eben.
Wir Männer sind die Allrounder. Die, die alles unter einen Hut bekommen, dabei gut aussehen, einen super Job machen und immer noch die nächste Herausforderung mit links packen. Immerhin sind wir Männer: Gesellschaftlich zum Brusttrommler gezüchtet, der sein Antlitz vor allem durch viel heiße Luft vor dem Bröckeln bewahrt. Da denke man sich nur einmal die Situation: ein Mann, eine Frau – und beide würden Klartext reden. Keine Chance. Ohne Umgarnungsversuche geht gar nix.
Ja, da stoßen wir an unsere Grenzen. Zwischenmenschlichkeit definiert sich bei uns über 256 Zeichen, die die Tastatur zu bieten hat.
Die Liebe ist eine harte Kost an der wir immer und immer wieder zu knabbern haben. Wir die Männer, die Eroberer, die Matadore, die beinharten Jäger – die, die schon wissen was sie tun. Wir wissen es eben doch nicht (immer). Zuerst interpretieren wir, dann eruieren wir, dann interpretieren wir wieder. Frauen, wenn ihr wüsstet, welche Gedanken wir uns machen – ihr wäret so entspannt.
Tinder, Badoo, Lovoo, oder die vermeintlich gehaltvollen Seiten wie Parship, Elite Partner und Co. – für diejenigen unter uns, die sich nicht trauen den Mund auf zu machen, ist das möglicherweise der einzig wahre Weg…
…wobei, der „wahre“ Weg, gibt es den? Welche Welt ist denn überhaupt die echte? Ist die Hauptsache nicht, dass wir kommunizieren? Spielt es eine Rolle ob offline oder online?
Die essenzielle Frage, die sich mir stellt: Sind wir zu feige oder nur zu bequem? Wir sind verdammt noch einmal beides.
Und „das Internet“ hat uns nicht dazu gemacht. Es hat uns aber in den miesen Eigenschaften bestärkt.
Alleine an uns liegt es, hier auszubrechen.
Denn bequem sind wir geworden, seitdem die Optionen an möglichen Partnern schier endlos scheinen. Feige sind wir geworden, weil wir uns nach dem ersten Date, das möglicherweise etwas holprig verlief die Luft ausgeht – aber eigentlich fehlt uns nur die Geduld.
Denn: Wir müssen ja nur weiter wischen. Wieder ein Match. Zack. Kein Erfolg? Na gut, dann eine andere App, eine andere Plattform.
Wir sind Meister im Ausweichen geworden oder ich würde sagen im AUSWISCHEN!
Wir sind bequem geworden, weil wir inoffiziell nach der großen Liebe suchen, doch uns auf dem Weg lieber an flüchtige Affären klammern, weil der Gedanke an das große Ganze, an die echte Bindung, an zu viel Nähe, unerklärliche Panikattacken in uns auslöst.
Wir wollen „echte“ Beziehungen, schränken aber den Trefferradius auf 10 Kilometer und Umgebung ein. Blenden die Welt außerhalb völlig aus – und wundern uns letztendlich, warum „nix Gescheites“ dabei ist.
Wir belächeln Fernbeziehungen von Freunden, weil es abartig erscheint, sich nur alle paar Wochen real zu begegnen – sind uns aber nicht zu Schade von mehrmonatigen, „freiwilligen“ Solo-Phasen zu schwärmen, die uns so viel Freiheit geben.
Bullshit. Menschen, die wirklich alleine sein wollen findet man nicht auf Tinder oder auf sonstigen sozialen Netzwerken. Menschen, die alleine bleiben wollen leben in Ein-Mann-Zelten im Norden Amerikas und ernähren sich von Lachs, Waldbeeren und von, mit der Steinschleuder aus Fichtenrinde erlegten, Braunbären.
Doch was sind wir eigentlich? Wir sind die personifizierte Angst.
Nämlich genau jene Angst, die alles dagegen setzen wird den einen Schritt zu tun, der eine unumkehrbare Lebenswende nach sich zieht, weil man sich entscheidet. Für jemanden, den man nicht gleich nach der nächstbesten Push-Mitteilung gegen eine neue Version eintauscht.
Diese Angst, die so verdammt tief in vielen von uns drinnen steckt, die ist der eigentliche Grund warum weder Tinder-Matches, noch die fesche Lederjackenträgerin von der Supermarktkassa passen werden.