„Glück vermehrt sich, wenn man es teilt“

Vor über 24 Jahren ist Zerai Kiros Abraham mit seiner Mutter nach Deutschland geflüchtet. Die Ankunft hatten sich beide anders vorgestellt. Sie durfte nicht arbeiten, worunter der damals 13 jährige Teenager sehr litt. Heute zählt Zerai zu den größten Inspiratoren und Flüchtlings-Fürsprechern. Mit seiner Aktion “HannsM” hat er vergangenes Jahr für Aufsehen gesorgt. Insgesamt 2000 Euro hat er unter dem Pseudonym “HannsM” in Frankfurt versteckt. Seine Botschaft: Wenn Deutsche für 50 Euro über Zäune und in kaltes Wasser springen, was nehmen dann erst Flüchtlinge in Kauf, um vor dem Tod zu fliehen?

Kannst du uns schildern, wie und wann du nach Deutschland gekommen bist?

Ankommen ist ja relativ. Bis ich wirklich in Deutschland angekommen bin – also auch geistig – hat es sehr lange gedauert. Hierher geflüchtet bin ich vor 24 Jahren mit meiner Mutter. Wir wollten dem damaligem äthiopischen Regime entkommen und sind, von Eritrea ausgehend, zuerst in den Sudan und dann nach Deutschland geflohen. Wir waren sehr lange unterwegs und genau als wir in Deutschland angekommen sind, gab es die Befreiung Eritreas von den Rebellen. Aber wir konnten nicht zurückkehren. Wir hätten dann auch dort wieder bei Null l anfangen müssen. Also wollten wir es in Deutschland probieren. Wir haben uns das ja alles viel einfacher vorgestellt.

Wie meinst du das, viel einfacher?

Vorweg: Ich war damals selbst eine sehr verschlossene Person und wollte eigentlich nicht weg von Afrika. Mir ist es dort gut gegangen und ich verstand nicht, dass ich nun woanders leben musste. Das legte sich mit der Zeit,aber die Vorstellung vom einfacheren Leben hat sich leider nicht erfüllt. Ich habe meine Mutter immer als starke und motivierte Frau erlebt, sie wollte mit mir nach Deutschland gehen, um hier zu arbeiten und eine neue Existenz aufzubauen. Wir hatten diese “go west” Einstellung. Doch nach und nach merkten wir, dass das so nicht klappen wollte. Wir mussten uns zuerst als Flüchtlinge anmelden, uns für Essen in einer langen Schlange anstellen und durften nichts machen. Meine Mutter konnte nicht arbeiten, damit hatte sie nicht gerechnet, und wurde zunehmend depressiv. Für eine zielstrebige Person ist es das Schlimmste, zu Hause sitzen zu müssen und Daumen zu drehen. Diese Situation hat natürlich auch mich beeinflusst, und so habe ich dann eine innere Mauer aufgebaut. Es waren nicht die Menschen in Deutschland, die mich frustriert haben, mit ihnen habe ich immer gute Erfahrungen gemacht. Aber gegen das System habe ich von Anfang an rebelliert. Es war und ist ein System, das uns Flüchtlinge träge macht und uns ausschließt.

Wenn den Zugang zur Sprache und zur Integration verweigerst, machst du Menschen zu Rebellen und Egoisten, die nicht an die Gesellschaft, sondern nur an sich denken.

Was kann man gegen diese Ausgrenzung tun? Ist sie gerechtfertigt bzw. ist die Angst vor Flüchtlingen in deinen Augen gerechtfertigt?

Schau, es ist immer der erste Eindruck, der zählt. Denn dieser entscheidet darüber, ob Flüchtlinge ihr Herz für das Land öffnen oder nicht. Wenn man ihnen positiv begegnet werden sie genauso reagieren, sich integrieren und sind dadurch später keine Belastung mehr. Denn was ist die Alternative? Wenn sie sich nicht integrieren sind sie ja erst recht die Belastung, vor der alle so große Angst haben. Flüchtlinge werden dann zum Problem, wenn man sie sich nicht integrieren lässt, wenn man ihnen die Chance auf Sprache und Bildung verwehrt und sie nicht arbeiten lässt. Wenn du ihnen den Zugang zur Sprache und zur Integration verweigerst, machst du sie erstens zu Rebellen und zweitens zu Egoisten, die nicht an die Gesellschaft, sondern nur an sich denken. Was haben sie auch für eine andere Wahl? Der Staat ermöglicht ja gar keinen Weg, um ein normales und glückliches Leben zu führen. Es ist doch besser sie tragen die Gesellschaft mit, als von der Gesellschaft getragen zu werden.

Wie war das bei dir, wie wurdest du aufgenommen?

Ich musste mich auch mit vielen Dingen herumschlagen. Es hat gedauert und es dauert teilweise immer noch. Aber ich habe eine klare Botschaft, die ich vermitteln will: das, was ich erlebt habe, sollen andere nicht auch erleben müssen.

Was sind, deiner Meinung nach, die grundsätzlichen Probleme? Warum ist so schwer Flüchtlingen mit offenen Armen zu begegnen. Woher kommt die Angst?

Naja, natürlich hat es viele gegeben, die in den 1990ern nach Europa gekommen sind, nur weil sie wussten, dass sie hier nicht arbeiten müssen. Sie haben sich nie richtig integriert. Diese Menschen haben das System ausgenutzt und sich damit ein Eigentor geschossen – in Form der jetzigen Problematik.

Für ein kleines Dorf kann es schon eine Überforderung sein, viele Flüchtling aufnehmen zu müssen.

Hierzulande, in Österreich, haben wir derzeit auch wilde Debatten rund um die Flüchtlingsproblematik.

Naja, in einem kleineren Land verstehe ich diese Ängste noch irgendwie, auch wenn ich es nicht gut heiße und schade finde. Es gibt dort weniger Großstädte, und für ein kleines Dorf kann es schon eine Überforderung sein, plötzlich so viele Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Aber man muss sich damit auseinandersetzen. Deswegen werde ich gerne laut und zeige der Gesellschaft ihre Fehler in Form meiner Projekte und Vereine.

[infobox maintitle=“Deutschland hat wieder Helden“ subtitle=“Die Hidden-Cash Aktion von Zerai“ bg=“yellow“ color=“black“ opacity=“off“ space=“30″ link=“http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt-deutschland-hat-wieder-helden-13482339.html“]

Wie kommt man auf die Idee einfach wahllos 50 Euro Noten in Deutschland zu verstecken?

Wir – und wenn ich wir sage, dann meine ich Deutschland – haben schon längst vergessen, was es bedeutet Flüchtling zu sein. Wir haben vergessen, was Krieg bedeutet. Unsere Vorfahren waren auch einmal Flüchtlinge. Dieses Vergessen ist unser Feind. Wir sollten anfangen aus der Geschichte zu lernen – und zwar im positiven Sinn. Nehmen wir Dresden als Beispiel, der Ursprung der Pegida Bewegung: Google mal nach Dresden und schau dir die Bilder von damals an. Die Stadt war leer, zerbombt. Mit ähnlichen Bildern wirst du konfrontiert, wenn du nach Syrien blickst. Auch die Dresdner mussten damals flüchten. Egal wohin – sie mussten weg, alles zurücklassen. Denn vor dem Tod zu flüchten ist kein Privileg, sondern ein menschliches Verhalten.

Ich will klar machen, dass eine Flucht keine leichtsinnige und einfache Entscheidung ist.

 

Man wartet nicht auf die Bomben.

Genau darum geht es mir: endlich klar zu machen, dass das Flüchten keine leichtsinnige und einfache Entscheidung ist. Durch meine Aktion soll jeder selbst erleben, was es bedeutet. Ich habe nach einem gemeinsamen Nenner gesucht und der war: Jeder ist auf der Suche nach Glück. Denn Glück ist das Einzige, das sich vermehrt wenn man es teilt. Und der passendste Vergleich war: Wenn Menschen für 50 Euro über Zäune klettern und im Winter in Brunnen steigen, werden sie vielleicht verstehen was Flüchtlinge für ihr Leben auf sich nehmen.

Diese Aktion hat ja für ziemlich viel Aufregung gesorgt, zunächst wurde gemunkelt ein Millionär stecke dahinter. Ich meine auch, 50 Euro einfach so zu verstecken ist nicht gerade billig.

Irgendeine Geschichte musste ich erfinden, sonst hätte es ja keiner geglaubt. Somit erfanden wir mit Herrn M.: Einen reichen, kinderlosen Mann, der reich geerbt hat und sein Geld verteilen will.

Woher stammte eigentlich das Geld?

Es ist fast alles von mir. Zweimal haben auch Flüchtlinge Geld beigesteuert. Eigentlich war ich naiv und habe gedacht, es werden wohl irgendwo Spenden herkommen. Aber die kamen nicht (lacht). Aber würde ich es noch einmal machen können, ich würde nicht zögern. Es gab viel Zuspruch. Mein Erfolg ist, dass sich Leute mit dem Thema auseinandergesetzt haben.

Und wo habt ihr das Geld überall versteckt?

Wir haben nach Orten gesucht, die irgendeine symbolische Bedeutung hatten. Beispielsweise haben wir Geld ins Wasser gelegt, um den Weg von Flüchtlingen übers Wasser dazustellen. Viele Leute haben versucht das Geld herauszufischen, ohne nass zu werden. Das geht halt nicht. Wir wollten den Leuten zeigen: ihr müsst für diese 50 Euro auch etwas bewältigen, euch anstrengen. Über einen Zaun in private Gelände hüpfen, oder bei Nässe und Kälte rausgehen. Es war spannend zu sehen, wie weit die Menschen bereit waren dafür zu gehen. Ich habe das ganze Treiben beobachtet und Bilder gemacht, die am Ende in einem Buch veröffentlicht wurden. Die Leute waren ganz irritiert, als sie sich selbst gesehen haben.

Du sprichst immer von “wir”. Wer hat dir bei dem Projekt geholfen?

Insgesamt waren wir 5 Personen. Freunde haben mich unterstützt,auch ein Journalist der FAZ, der von Anfang an von der Idee begeistert war. Natürlich war wichtig, dass wir die Geschichte geheim hielten, damit das funktionierte. Am Anfang war es natürlich schon schwierig und ich hatte manchmal meine Zweifel. Aber es wurde gut aufgenommen. Viele Medien haben sich bei uns gemeldet – vor allem als klar war, dass das Ganze nicht nur eine Spinnerei ist, sondern eine Botschaft dahintersteckt.

Mein Ziel ist es Flüchtlinge weniger hilfsbedürftig zu machen und sie zu ermuntern selbst aktiv zu werden.

Du hast ja noch zahlreiche andere Projekte am Laufen. Was machst du sonst alles noch?

Ich habe Theologie studiert. Derzeit arbeite ich gerade an einem Afrika-Magazin und habe einen Verein geschaffen, wo die Deutschen, die kein Helfersyndrom haben hinkommen können und wo sie Flüchtlinge treffen, die kein Hilf-mir-Syndrom haben. Einfach ein Ort, wo Flüchtlinge hinkommen können, um Freude zu haben.  Mein Ziel ist es Flüchtlinge weniger hilfsbedürftig zu machen und sie zu ermuntern selbst aktiv zu werden.

Wie definierst du den Begriff Helden?

Jemand, der für seine Ethik und für seinen Glauben einsteht und keine Kompromisse eingeht, das ist ein Held. Jemand, der bereit ist, dafür zu kämpfen woran er glaubt, und in der Lage ist, durchzubeißen. Deshalb sind Flüchtlinge Helden.

Würdest du dich als Held bezeichnen?

Ich weiß es nicht. Manche Leute bezeichnen mich als Sozialarbeiter. Ich bin auch schonmal als Held bezeichnet worden. Irgendwie bin ich auch ein Held, weil ich mich damals, als ich nach Deutschland gekommen bin, nicht von einer Depression hinreißen habe lassen, sondern weil ich für ein besseres Leben gekämpft habe. Ich habe mich nie von der Gesellschaft oder von anderen bewerten lassen. Ich weiß selbst welches Potenzial ich habe.

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