Bildungsreform 2015: „Kinder brauchen mehr als Basteltanten“

In unserer neuen Rubrik „Meinungen“, schreiben Helden-Autorinnen über Themen, die sie persönlich betreffen. Den Anfang macht ein Kommentar von unserer Redakteurin Martina Krassnitzer. Als Kindergartenpädagogin und Leiterin eines Kindergartens, ist sie jeden Tag mit den Auswirkungen unserer Bildungspolitik konfrontiert. Das aktuelle Vorhaben ist in ihren Augen ein Desaster.

Die kürzlich präsentierte Bildungsreform löst Entsetzen und Enttäuschung bei den Kindergartenpädagoginnen aus. Österreich steht im internationalen Vergleich nicht nur bezüglich der elementarpädagogischen Rahmenbedingungen sondern auch hinsichtlich der Ausbildung von Kindergartenpädagoginnen in keinem guten Licht. Dies soll sich laut Bildungsreform auch nicht so schnell ändern. Als Elementarpädagogin und Kindergartenleiterin liegt es mir sehr am Herzen, an diesen Missständen zu rütteln.

Einleitend klingen die Ausführungen der Bildungsreform im elementarpädagogischen Bereich sehr vielversprechend. Endlich wurde der Kindergarten als erste Bildungseinrichtung, in der wesentliche Grundlagen für die Entwicklung der Kinder gelegt werden, erkannt. Dass es dafür gut ausgebildete und engagierte Pädagoginnen und Pädagogen braucht und entsprechende Rahmenbedingungen notwendig sind, gilt als selbstverständlich.

Leider stehen diffuse Maßnahmen dahinter, die weder Sinn ergeben, noch realistisch sind. Das zweite verpflichtende Kindergartenjahr mit Opt-out Möglichkeit widerspricht jeglicher pädagogischer Logik. Vor allem die Eingewöhnungsphase in die institutionelle Kinderbetreuung stellt für viele Kinder eine große Belastung dar, und verlangt viel Zeit und Geduld. Sie danach wieder zu verabschieden ist schlichtweg absurd. Abgesehen davon, würde nicht nur die Gruppenstruktur darunter leiden, sondern ein immenser bürokratischer Aufwand entstehen. Auch der Bildungskompass im Sinne der Potenzialanalyse erscheint wenig sinnvoll. Bereits jetzt werden Sprachstandsfeststellungen und Entwicklungsdokumentationen in den Einrichtungen durchgeführt. Das erfordert nicht nur zeitliche Ressourcen, sondern auch kompetentes Personal – in der Praxis mangelt es an beidem. Womit wir schon beim nächsten Punkt angelangt wären: die Rahmenbedingungen.

Mit der Ausnahme Österreich, werden die Pädagoginnen und Pädagogen Europas ausschließlich auf Hochschulniveau ausgebildet.

Österreich: State of the…?

Weder die Ausbildung der Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen, noch die verfügbaren Rahmenbedingungen entsprechen den internationalen Standards. Mit der Ausnahme Österreich, werden die Pädagoginnen und Pädagogen Europas ausschließlich auf Hochschulniveau ausgebildet. In einer österreichischen Standardkindergartengruppe werden von 2 Personen, Pädagogin und Assistentin, bis zu 25 Kinder betreut, während etwa in Schweden der Personalschlüssel bei 1:5 liegt. Man sieht also: die Differenz ist groß. Auch der Gehaltsvergleich hinterlässt großes Staunen. Wir sind definitiv nicht state of the art.

Zum Glück gibt es auch Ausnahmen. Erste Bewegungen der Akademisierung im elementarpädagogischen Bereich lassen hoffen. Die FH Campus Wien bietet seit 2014 ein Bachelorstudium für Führungskräfte in Kinderbetreuungseinrichtungen an, deren Studierende gemeinsam mit Berufskolleginnen auf die Barrikaden gehen. Auch der Salzburger Universitätslehrgang für Elementarpädagogik und die Kooperation der privaten Trägereinrichtung KIWI mit der Hochschule Koblenz folgen der dringenden Notwendigkeit, die Professionalisierung von Elementarpädagoginnen- und –pädagogen voranzutreiben. Die Basisausbildung stagniert jedoch weiterhin. Ein großer Fehler.

Schleierhaft ist, wer hierfür verantwortlich ist und warum?

„Kinder sind unsere Zukunft!“ Doch da die Zukunft sehr weit entfernt ist, scheint ihr kein Interesse zu gebühren. Trotz des enormen Wissens jahrzehntelanger Arbeit, um die besten Bedingungen im elementaren Bildungssektor, wird schonungslos darüber hinweggesehen. Doch die Fakten sollten zu denken geben: Etwa zwei Drittel der Bakip-Absolventinnen und Absolventen steigen nicht ins Berufsleben ein, allein in Wien ist der Mangel an Pädagoginnen und Pädagogen extrem hoch.

Der durchschnittliche Lärmpegel in Regelgruppen beträgt etwa 65- 85 Dezibel und ist durchaus mit Baustellenlärm vergleichbar

Vielfach wird unqualifiziertes Personal eingesetzt, um die Gruppen zu füllen. Somit ist zwar der Betreuungsplatz gesichert, die Garantie für effiziente Bildungsarbeit allerdings nicht. Auffällig ist auch die Burn- out-Quote bei Kindergartenpädagoginnen. Stressfaktoren wie fehlende Vorbereitungsstunden und die hohe Lärmbelastung nehmen großen Einfluss darauf. Der durchschnittliche Lärmpegel in Regelgruppen beträgt etwa 65- 85 Dezibel und ist durchaus mit Baustellenlärm vergleichbar, zudem wirkt er sich negativ auf die Sprachverständlichkeit aus. Wie soll man da noch gute Arbeit leisten können?

Doch bei allen Diskussionen, vergessen wir eines: den Fokus auf das Kind zu legen, denn das sollte letztendlich im Mittelpunkt stehen. Kinder sollen die Möglichkeit haben, gemäß ihrer individuellen Entwicklung gefördert und begleitet zu werden, um zu selbstbewussten, kompetenten, empathischen Persönlichkeiten heranzuwachsen. Und dafür braucht es mehr als „Basteltanten“.

„Wir sind die Veränderung die wir wollen!“

Aktuell sind Studierende der FH Campus Wien dabei, ihre Stellungnahme fürs zuständige Ministerium zu verfassen, und werden von Lehrenden dabei tatkräftig unterstützt. Sie wollen nicht mehr länger Marionetten der Politik sein, sondern für mehr Rechte und Chancen im Bildungsbereich kämpfen: für eine bessere Zukunft unseres Landes und nicht zuletzt: kämpfen für unsere Kinder.

 

Martina Krassnitzer

    4 Kommentare

    • Michael Wögerer sagt:

      Hervorragender Kommentar, welcher inhaltlich schonungslos die Defizite und Lücken der eben beschlossen Reform aufdeckt. Es ist beschämend zu lesen, dass ein Land wie Österreich, welches sich gerne über seinen Reichtum und sein funktionierenes Sozial- und Bildungssystem definiert, es an entsprechenden Taten missen lässt und dafür umso engagierter Positionspapiere und Lippenbekentnisse produziert.

    • up12777 sagt:

      Der Beitrag ist wirklich gut und inhaltlich kann ich (Kindergartenleiterin mit Zusatzausbildung als Sonderkindergartenpädagogin, Bachelorabschluss Bildungswissenschaft und vielen Jahren Unterrichtserfahrung als Didaktik- und Praxislehrerin an einer BAKIP) vielem bzw. praktisch allem beistimmen. Allerdings sind doch manche Zusammenhänge nicht ganz korrekt dargestellt:

      (Aufgrund des hohen Frauenanteils in dieser Berufsgruppe und der leichteren Lesbarkeit verwende ich im Folgenden stets die weibliche Form!)

      Dass der Kindergarten die erste Bildungseinrichtung ist, sollte im Jahr 2015 keine Frage mehr sein. Je jünger das Kind ist, umso besser sollte die Pädagogin ausgebildet sein, da das junge Kind beispielsweise seine Bedürfnisse noch nicht so klar artikulieren kann wie z.B. Jugendliche und es bzw. die bestmögliche Unterstützung seiner Entwicklung daher von der Beobachtungsfähigkeit und dem fachlichen Background der jeweiligen Pädagogin abhängig ist.
      Dass die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin dringend in den tertiären Bereich angehoben werden muss, steht für mich ebenso außer Frage! Dies hängt aber vor allem mit der persönlichen Reife zusammen, die für eine solche Ausbildung mitgebracht werden muss. Schülerinnen der BAKIP (14 – 19 Jahre alt) stecken noch mitten in ihrer eigenen Erziehungsgeschichte drinnen, während sie schon die Rolle der Erzieherin einnehmen müssen. Damit sind viele überfordert. Allerdings habe ich diese Beobachtung teilweise auch in den Kollegklassen, in denen ich unterrichtet habe gemacht, vor allem bei Kollegstudierenden, die frisch von der Matura in diesen Lehrgang eingestiegen sind.
      Optimale Voraussetzungen bringen Frauen und Männer mit, die einen anderen Beruf erlernt haben und in diesem tätig waren, evtl. schon eigene Kinder haben und im besten Fall auch eine Zeit lang im Ausland waren.
      Ob aus der Ausbildung zur Kindergartenpädagogin Basteltanten oder professionelle Pädagoginnen herauskommen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einmal eben von der schon erwähnten persönlichen Reife der Auszubildenden, aber auch von der Qualität der allgemeinen und praxisbezogenen Ausbildung (hier ist vor allem die Zusammenarbeit der Lehrenden wichtig) und vor allem sind es die praktischen Erfahrungen, die die Schülerinnen während ihrer Ausbildung machen, sowie die Anleitung während ihrer ersten zwei, drei Dienstjahre, die ihre spätere Tätigkeit hinsichtlich Professionalität beeinflussen.
      Aus meiner Sicht müssten Kindergartenpädagoginnen, bei denen Schülerinnen der BAKIP praktizieren, viel intensiver geschult und begleitet werden. Ebenso obliegt es den Kindergarteninspektorinnen der Länder, beispielsweise durch Einfluss des Fortbildungsangebots, die weitere Professionalisierung zu unterstützen und zu lenken.

      Zu den Rahmenbedingungen:
      Dass in einer kleinen Gruppe mit mehr qualifiziertem Personal besser auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingegangen werden kann, ist selbstverständlich. Welcher Lärmpegel aber in der Gruppe herrscht, hängt eng mit dem Rollenverständnis der Pädagogin sowie dem Angebot, dass sie den Kindern macht zusammen. In Gruppen, in denen die Kinder ansprechende Angebote vorfinden und in denen sich die Pädagoginnen auf das Spiel/die Tätigkeit mit den Kindern einlassen und dabei auch auf eine angemessene Lautstärke achten, wird es auch nicht zu „Baustellenlärm“ kommen.

      Das Studienangebot an der FH Wien ist begrüßenswert. Allerdings spricht es nur Leiterinnen an! Es sollte aber Standard werden, dass die Pädagoginnen in den Gruppen auf Bachelor-Niveau ausgebildet sind, ohne dabei an Wert in der praktischen Bildung einzubüßen, indem die Ausbildung nur noch theoretisch stattfindet.
      Auch für Assistentinnen besteht bezüglich Qualifizierung dringender Handlungsbedarf, da auch sie unmittelbar mit einzelnen Kindern, aber auch mit Klein- und Teilgruppen arbeiten. Eine Schulung hinsichtlich Rollenverständnis, Beobachtung, Entwicklungspsychologie, … scheint hier unumgänglich!

    • Bernhard Eschinger sagt:

      Als Elternteil bekommt man oft gar nicht mit, was im Kindergarten so alles passiert, und vor allem, dass die Bedingungen weitaus besser sein könnten. Danke für den Artikel!

    • Nicole sagt:

      Ich seh das eigentlich im Großen und Ganzen ganz anders.
      Ja! Kinder sind unsere Zukunft. Das war immer schon so und wird immer so sein.
      Ja! Es braucht mehr als Basteltanten. Kinder sollen abgeholt werden, genau da, wo sie stehen. Individualität!
      Die Wege, die jetzt gegangen werden, um – meiner Meinung nach – höhere Löhne und mehr Personal zu zu erarbeiten, haben aber weder mit Individualität, noch mit Zukunft zu tun.
      Ich unterstütze gute elementarpädagogische Bereicherungen. Eine Pädagogik, die das Kind in den Mittelpunkt stellt. Das wäre das Ziel…
      Die Realität aller Bemühungen schaut aus meiner Sicht anders aus. Träger, Parteien und sonstige Gruppierungen versuchen, aus wirtschaftlichen Gründen, Punkte zu machen. Wie aus dem Nichts tauchen neue Konzepte auf, die individuellere Pädagogik versprechen, Entlastungen für MitarbeiterInnen, Wertschätzung. Die Wahrheit schaut anders aus. Basteltanten gibt es längst nicht mehr. Ganz im Gegenteil! Die Pädagogin ist, mehr oder weniger, den ganzen Tag damit beschäftigt, Beobachtungen und andere Aufzeichnungen zu verschriftlichen. Die monatlichen Planungsmappen der heutigen Pädagoginnen sind dicker als einstige Sammelmappen der möglichen Aktivitäten zb zum Jahreskreis…
      Freispiel…vorbereitete Umgebung…Spielimpulse…ich weiß nicht, ob sich daran noch jemand erinnern kann. All das sind Aktivitäten, die heute schier unmöglich sind. Mit den Kindern zusammensitzen, ein Spiel spielen (ja sogar ein Lernspiel – pädagogisch wertvoll) oder ein Buch vorlesen bzw. eine Geschichte erzählen (Spracherziehung!) ist mittlererweile höchst verwerflich. Wieso?! Na ganz klar! Zuerst muss sich die Pädagogin einmal rechtfertigen, warum sie beim Tisch sitzt (Kindertisch…Schreibtische sind schon längst out), danach wird kontrolliert, ob dieses Angebot auch tatsächlich so geplant war, bzw wenn nicht, wird in den nächsten Tagen genau geschaut, ob dieses Angebot auch ausreichend reflektierend verschriftlicht wurde. Zur Geschichte wurde nichts aufbereitet? Kein Hintergrundwissen, kein Sachgespräch oder persönlicher Bezug seitens der Kinder zu Aschenputtel oder Hänsel und Gretel vorhanden? Wo ist das Anschauungsmaterial wie gläserne Schuhe, Stoffpüppchen oder Brotkrumen? Man möchte den Kindern doch ganzheitliche Erziehung zukommen lassen! Vielleicht ist es einfacher für Pädagoginnen die Gruppenstruktur zu ändern. Statt 25 Kinder im Alter von 3-6 Jahren hat man die Möglichkeit auf alterserweiterte Gruppen umzurüsten. Dann sind es nur mehr 21 Kinder…im Alter von 0-6. Aber Bitte! Wenn zb Laternen für das Martinsfest gebastelt werden, dann achte man als Pädagogin darauf, für jede Altersgruppe die entsprechende Technik anzuwenden! 0-3 jährige Kinder haben dann Zb Kartoffeldruck-Laternen, während die 3 und 4 jährigen getrocknete Blätter auf Pergament kleben und die Vorschulkinder erarbeiten ihre Laternen aus Blech, Hammer und Nagel…
      Pädagogisch wertvoll!
      Gut für das Kind!
      Individualität!
      Oder doch vielleicht nur wirtschaftliche Gründe?
      Die Stadt Wien schießt jedem beitragsfreien Kindergarten Beihilfen zu. Für ein Kind unter 3 Jahren betragen diese Subventionen wesentlich mehr als als für ein Kind über 3 Jahren. Vielleicht ist das auch der Grund, warum gerade 2 Jahre alt gewordene Kinder im September aus der Krippe in den „normalen“ Kindergarten kommen. Dann hat man wieder einen Krippenplatz für ein unter 3jähriges Kind frei und im Kindergarten auch ein Kind unter 3. Fast ein ganzes Jahr lang!
      Ich merke, ich könnte hier ewig weiterschreiben!
      Ich denke nicht, dass eine akademische Ausbildung der Betreuungspersonen diese Missstände ausgleichen würde. Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich all die oben angeführten Problembereiche dafür verantwortlich mache, dass meine 5jährige Tochter in 3 Jahren Kindergarten KEIN EINZIGES Fingerspiel gemacht hat!
      Warum ich mir erlaube so kritisch Stellung zu nehmen?
      Ich habe von 2002 bis 2014 als Kindergartenpädagogin gearbeitet. Erst bei den Kinderfreunden, dann bei KIWI und zuletzt in der Nikolausstiftung. Ich war 12 Jahre lang gruppenführende Pädagogin. Voller Enthusiasmus und Ideen, Aufopferung! Warum ich bei so vielen Trägern gearbeitet habe? Weil ich nicht glauben konnte, dass die erfahrene Enttäuschung am gesamten Berufsbild festzumachen ist. Ich dachte, es sind die einzelnen Träger, die solch absurde Richtlinien vorgeben. Doch es war bei allen Trägern gleich. Und es wird immer schlimmer. Es liegt also nicht an den Trägern. Es ist das System an sich.

    Schreib einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *