Verdammt, ja: wir sind eine Angsthasen-Gesellschaft. Jeder hat Angst. Vor Menschen, Meinungen, Maschinen – grundsätzlich vor dem Leben selbst. Täglich finde ich mich in einer Gesellschaft wieder, die den Eindruck erweckt: ihr wäre nichts bekömmlicher als ein mächtiger Glassturz, sorgsam über die Köpfe der zitternden Bewohner gestülpt, die verschreckten Seelen vor der bösen Realität beschützend.
Nahezu krankhaft scheint mir der Hang zur Ent-Sorgung, also zur Loslösung von jeglichen menschlichen Problemen, die uns über die vergangenen Jahrhunderte und Jahrzehnte im Alltag begleitet haben und durch die wir gewachsen sind, stärker geworden, durch die wir an Reife gewonnen und die unsere Charaktere geschliffen haben. Mir scheint als wäre die Mehrheit meiner Mitbürger vom Traum beseelt ihre Entscheidungsfähigkeit dem nächstbesten Wanderprediger – ob politisch oder wirtschaftlich, gar religiös ist einerlei – zu überreichen. Ist das neue Ideal ein Leben ohne Höhen und Tiefen? Ein Leben ohne Fehler, ohne Leid? Ohne Freude und Ekstase zugleich?
Angsthasen, das ist schon ein viel zu verniedlichendes Attribut angesichts der Tatsache was wir hier haben: eine Gesellschaft der Feiglinge, der Rückzieher, der Blockierer, der Neinsager. Würde ich für jeden Moment nur 1 Cent erhalten, in dem Sätze beginnen mit „Naja…“, „Aber…“, „Muss das sein…“, „Ich glaube nicht, dass das….“ usw. – ich könnte mich bereits in die Forbes500-Liste einreihen, irgendwo zwischen Buffet und Bezos.
Wir sprechen hier schon längst nicht mehr von einer wirtschaftlichen Angst. Nein, das beginnt bereits bei trivialen Themen.
Und nur zur Klarstellung: Wir sprechen hier schon längst nicht mehr von einer wirtschaftlichen Angst. Nein, das beginnt bereits bei trivialen Themen. Egal ob im privaten Umfeld, in Beziehungen oder Freundschaften, ob im beruflichen Alltag, sogar bei einfachen philosophischen Geplänkeln; ganz zu Schweigen von dem Wahn allzeit bereit zu sein, um sich für mögliche Verbalabsonderungen, die der politischen Korrektheit zuwiderlaufen möglichst fest zu geißeln.
Nein, nein, nein, das Argument, das euch auf der Zunge brennt kenne ich bereits: „Es muss doch nicht jeder..Ein bisschen Angst ist doch…Das kann man so pauschal nicht….“ Und jetzt der Totschläger aller Argumente: „Soll doch jeder so machen, wie er glaubt!“ Leider neigen wir Menschen dazu unsere Glaubensansätze stark von der mittrottenden Masse beeinflussen zu lassen, die wiederum durch gesellschaftliche und politische Strukturen geprägt wird.
Folglich glaubt dann jeder das, was der andere glaubt, weil wenn der andere das glaubt, was ich glaube, dann kann das, was ich glaube ja gar nicht so falsch sein. Na?
So verkommen wir zu einer Gesellschaft des Stillstandes, zu einer Gesellschaft der Zögernden. In einer Biedermeier-Manie, wenn nicht gar schon eine Eskalationsstufe weiter, besinnen wir uns verklemmten Werten, die wir in einen Mantel der Menschlichkeit und Neutralität hüllen. Welche Menschlichkeit und welche Neutralität das gerade ist, sucht man sich nach Belieben aus, wie es eben gerade um die eigene Meinung bestellt ist.
Gar schon als „Verrückt“ werden dann jene bezeichnet, die sich um das Fortkommen der Menschheit bemühen und mit innovativen Lösungen daherkommen. Die ausbrechen aus dem gesellschaftlichen Gleichschritt und sich dem „Weil es nunmal so ist“ nicht beugen. Technische Revolutionen werden verteufelt, die Auflösung alles Menschlichen in der Hölle der Maschinen proklamiert. Medizinische Errungenschaften, wissenschaftliche Höhenflüge überhaupt, werden mit Argwohn aufgenommen, nur um sie mit dem Hausverstand auf banalster Ebene zu dechiffrieren, in einer Sprache, die man sich eben gerade zurechtlegt, wie es einem zum Gemütszustand passt. Lieber suhlt man sich in Sorge darüber, welche negativen Auswirkungen uns der „Forschungswahn“ bescheren wird, als mit Optimismus der Zukunft entgegenzublicken und die Chancen zu sehen, die uns erwarten.
Ist es zu viel verlangt einfach öfter „Ja“ zu sagen?
Ja zu Chancen, Ja zu Ideen, Ja zu Möglichkeiten. Ich spreche nicht vom Feiglings-Ja, das dazu dient jeden Konflikt zu umschiffen. Ich spreche von jenem Ja, das uns Motivationsgefühl verschafft. Wer dieses Gefühl vergessen hat: Es ist in etwa so wie jenes aus unserer Kindheit, als etwa die Eltern etwas erlaubten, von dem man nie angenommen hätte, es könnte jemals wahr werden. Oder dieses Gefühl, wenn die Schulglocke die letzte Stunde beendete und man in die Freiheit laufen konnte. Dieses Gefühl, als man mit Freunden unterwegs war und mit irgendwelchen blödsinnigen Aktionen durchkam. Dieses Ja müssen wir wiederfinden – und vor allem diese Neugier, die damit verbunden war und ist.
Man kann sich nicht vor dem Zufall schützen. Man kann sich nicht der Wahrscheinlichkeit entziehen. Jedes Pro bringt auch irgendwann ein Kontra. Und das ist gut so. Denn vor allem aus Fehlern und durch Scheitern lernen wir. Eine Gesellschaft ohne Konsequenzen, die ist utopisch. Eine Gesellschaft ohne negative Konsequenzen, die wäre geradezu dystopisch.