Stefan Krüger ist in unmittelbarer Nähe eines Stasi-Gefängnisses in Ost-Berlin aufgewachsen. Zu Zeiten der DDR war er ein kleiner Junge. Dennoch hat ihn die Zeit geprägt. Heute ist der 37-Jährige ein Unternehmergeist, der deutsche Beauty-Ware in den USA verkauft und sich seit Kurzem dem Craft Beer widmet. Ein Gespräch über den ehemaligen Osten, Unternehmergeist und Bier.
Stefan, was machst du eigentlich?
Ich bezeichne mich als Unternehmer. Ich mache Sachen, die mir Spaß machen und in denen ich Chancen erkenne. Nicht nur Sachen, mit denen ich Geld verdienen kann.
Welche Unternehmen hast du schon gegründet?
Ich habe im Finanzvertrieb angefangen, aber das war nicht ideal. Dann war ich in einem Call-Center, das dann leider den Auftrag verloren hat – und ich damit meinen Job. Also habe ich mit meinem besten Freund ein Internetcafe gegründet. Das war im Nachhinein gesehen direkt zum Scheitern verurteilt, weil es zu klein war. Nach 6 Monaten haben wir dann USB-Sticks auf ebay verkauft. Das ging dann über in Speicherkarten und wir sind dann nach einiger Zeit dazu übergegangen, Pocket Bikes zu verkaufen, bis die Konkurrenz den Preis so weit drückte, dass wir keine vernünftige Gewährleistung mehr bieten konnten ohne Verlust zu machen. Danach haben wir dann Quads, Reifen und Ersatzteile verkauft, was bis dato bis auf die Quads der Fall ist. In den USA habe ich seit 2011 eine Firma, mit der ich über Onlineshops deutsche Kosmetikprodukte verkaufe. Die läuft ganz gut, die Amerikaner mögen deutsche Sachen, Made in Germany.
Wie hat sich das entwickelt?
Durch Zufall. Ich hatte in den USA einmal Penaten-Creme dabei und habe sie auf ebay gestellt.
Also wieder einmal hat der Zufall zugeschlagen.
Ja. Wenn du akribisch nach etwas suchst, egal was es ist, dann wirst du es meistens nicht finden.
Denke nicht in Problemen sondern in Lösungen.
Was braucht man deiner Meinung nach, wenn man selbständig sein will?
Nimm die Scheuklappen ab und mach’ die Augen auf! Wenn du aufgeschlossen bist, dann werden sich dir Chancen eröffnen. Letztendlich kommt es darauf an, ob du den Mut und auch die Ignoranz hast, sie wahrzunehmen.
Mut gehört definitiv zu den Eigenschaften, die ein Unternehmer mitbringen muss.
Außerdem eine fundamentale Denkweise. Denke nicht in Problemen sondern in Lösungen und ziehe aus jeder noch so negativen Sache etwas Positives heraus. Viele Leute nehmen es einfach hin, dass Dinge so sind wie sie sind und sie sich nicht ändern lassen, doch das ist ein Trugschluss. Alles ist möglich, wenn du daran glaubst und in Aktion gehst!
Du “machst ja jetzt in Bier”, wenn ich das so formulieren darf – was genau machst du? Trinken?
Ich engagiere mich für Craft Beer.
Was bedeutet Craft Beer?
Das heißt “handwerklich gebraut”. Der Brauer wählt selbst die Zutaten, es ist Leidenschaft dabei. Es wird nicht darauf geachtet, ob ein Bier margentechnisch optimiert wurde. Craft ist, wenn der Brauerei scheißegal ist, ob der Masse das Bier schmeckt. Sie sagen: Hey, das ist ein Bier, das trinken wir, finden wir geil und das möchten wir euch zur Verfügung stellen! Craft Beer wird nicht für den Massenmarkt gemacht. Du machst das aus Leidenschaft. Das ist authentisch und die Kunden lieben das!
Stellst jetzt selbst Bier her?
Nein, das nicht. Ich bin auf diese Craft Beer Sache 2012 in den USA gestoßen. In Deutschland gab es da noch sehr wenig. Ein Freund von mir, John Bates, hat mich zu einem Event mitgenommen. Dort gab es Stone-Biere (Brauerei, Anm.) Und wir kamen mit dem Co-Founder ins Gespräch. Ich dachte mir: Wer ist das? Dann kam ich mit ihm ins Reden, fragte ihn nach deutschem Bier. Er meinte nur knapp: deutsches Bier ist langweilig. Er meinte, im kreativen Brauen hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich viel getan. Ich bin ein paar Monate später mit ein paar Bieren nach Deutschland zurückgekehrt und habe erkannt, was er meinte. Seit damals bin ich in der Craft Beer-Szene in Berlin und darüber hinaus aktiv, bringe Biere von meinen Trips durch die Welt mit und vertreibe es nun. Und ich möchte die Tatsache ändern, dass die Craft Beer Szene in Deutschland derzeit noch ein Sausage-Fest ist.
Wie bitte, ein Sausage-Fest?
So sagt man im Englischen – ein Würstchen-Fest. Da kommen fast nur Männer hin (lacht) Frauen sind daher eher noch in der Unterzahl und denken bei Bier in der Regel an die klassischen deutschen Bierstile. Dabei ist (Craft) Bier aber so vielseitig und hat für jeden Geschmack etwas.
Die Aussage „Ich trinke kein Bier“ Schwachsinn ist.
Also baust du gerade ein weiteres Unternehmen auf?
Ich bekam die Möglichkeit eine Craft Beer Pop Up Bar zu machen. Ich habe dem Inhaber einer Bar vorgeschlagen, Craft Beer auszuschenken. Letztendlich haben wir 12 zusätzliche Zapfhähne, insgesamt 15, gehabt und jede Menge Umsatz gemacht. Daraus habe ich die Firma BeerGeeks gegründet. Das Ganze läuft Fulltime seit Oktober. Mittlerweile habe ich gelernt, dass die Aussage „Ich trinke kein Bier“ Schwachsinn ist.
Wieso ist es schwachsinnig kein Bier zu trinken?
Wir trinken meistens unsere Standardsorten und kennen nichts anderes. In Wirklichkeit gibt es aber für jede und jeden eine Biersorte. Beispielsweise Bierstile die mit Früchten vergoren worden sind, oder ein Weizenbier verfeinert durch Orangenschalen und Koreander. Oder Sauerbiere, wie das Passion Sour einer Londoner Brauerei. Hat wenig Alkohol, ist säuerlich – das hat vielen Frauen und Nicht-Bier-Trinkern gut geschmeckt. Sag’ mir was du sonst trinkst und ich finde das passende Bier (lacht).
Ich trinke gerne Weißwein und Mineralwasser – getrennt natürlich. Was empfiehlst du mir?
Ein Saison, belgischer Bierstil. Ist etwas trockener, herb und schmeckt aufgrund meiner Erfahrung vielen Weißweintrinkern auf Anhieb.
Ist Bier also mit Wein gleichzusetzen?
Bier trinkt man derzeit noch nicht als Genussmittel. Dabei ist mit Bier viel möglich, weil man mit Aromen spielen, Inhaltsstoffe dazu geben kann und, und, und. Man kann ein Bier auch im Fass lagern, dann bekommt man andere Geschmäcker.
Das Ganze kann, muss aber nicht, voll im Rahmen des Reinheitsgebotes stattfinden. Allein mit vielen, teilweise neu gezüchteten, Aromahopfensorten wie Hüll Melon, Centennial,Cascade usw. lässt sich geschmacklich so viel abbilden, sodass man voll nach Reinheitsgebot brauen kann und trotzdem super spannende Biere herausbekommt.
Apropos andere Geschmäcker. Es ist jetzt ein harter Themenwechsel, aber du bist ja in der DDR groß geworden. Wie hast du deine Kindheit erlebt?
Im Nachhinein war es nicht so schlimm. Ich war in Ostberlin und das war besser versorgt als der Rest. Deswegen waren die Ostberliner aber auch gehasst, weil wir sozusagen alles bekommen haben. Wir hatten im Winter Bananen, der Rest der Republik hat das nie oder nur sehr selten bzw. unter dem Ladentisch (Anmerk. Sachen die von Angestellten unter dem Ladentisch gegen andere Ware, Geld oder D-Mark abgegeben worden sind) gesehen. Ich hatte eine gute Kindheit, wir sind viel verreist, in den Osten. Aber ich war schon immer ein freiheitsliebender Mensch und Querdenker. Meine Eltern hämmerten mir diesen kommunistischen Leitsatz nicht in den Kopf. Ich kann mich z.B. an eine Situation in der Schule erinnern, wo wir über die USA geredet haben und das Fazit der Lehrerin war, dass alle in den USA “böse” sind, woraufhin ich nur entgegnete, dass das nicht sein könne da ich einen Onkel in den USA habe und der nicht böse sei. Solche Sachen führten dann dazu, dass meine Eltern in der Schule vorsprechen mussten. Vor drei Leuten, die ihnen klipp und klar sagten: wenn Sie ihren Sohn nicht nach den sozialistischen Grundregeln erziehen, wird er es später im Berufsleben sehr schwer haben. Sie haben indirekt gedroht. Allerdings hat mein Vater nie in Problemen gedacht und gesagt: na, dann arbeitet er halt bei mir in der Firma. (lacht) Das Ganze hat dann in einem Ausreiseantrag geendet, den sie 1987 gestellt haben.
Ausreiseantrag aus der DDR – so was gab es?
Ja, nicht offiziell. Es hat mehrere Jahre gedauert. Es gab da anscheinend einen Passus in der KSZE Schlussakte die Erich Honecker unterzeichnet hat, wonach jeder Bürger theoretisch das Land verlassen konnte. Das wurde nie publik gemacht. Aber aufgrund von Bekannten aus dem Westen wusste man davon.
Ich habe die DDR immer als Gefängnis betrachtet.
Wie hast du die Stimmung damals wahrgenommen?
Ich habe die DDR als Kind immer als Gefängnis betrachtet. Ich kann mich daran erinnern, als ich mit meinem Vater einmal an der Grenze vor der Mauer stand und auf meine Tante wartete. Ich sah dort die Häuser im Westen in naher Entfernung und fragte: wieso können wir dort nicht hin? Und mein Vater sagte nur: “Die wollen halt nicht, dass wir hingehen.” Da hab’ ich mir schon als Kind gesagt: da läuft was falsch. Wenn ein Land meint, dich einsperren zu müssen, kann das nicht richtig sein.
Hat dich dieses Gefühl, eingesperrt zu sein geprägt?
Ich hatte schon immer Fernweh ohne Ende. Ich muss in die Welt hinaus. Seit ich denken kann, bin ich unterwegs. Leider reise ich weniger als ich möchte. In letzter Zeit war ich aber viel unterwegs, liegt an einer fantastischen Frau, die ich kennen gelernt habe (lacht). Sie hat eine ähnliche Einstellung, liebt Craft Beer – das passt natürlich perfekt.
Meinst du, dass dich deine Kindheit in deinem beruflichen Werdegang geprägt hat?
Nein. Ich meine, vielleicht kam es durch das System. Ich wollte immer mein Ding machen und nie längerfristig das Gleiche. Ich hab schon in der Schule einen Markt eröffnet, wo man Poster und Postkarten aus dem Westen kaufen konnte. Irgendwann kam die Schule darauf und wir mussten damit aufhören. Ich finde es traurig, dass es diese Systeme stellenweise noch gibt: Guantanamo, oder Gaza – von ‘ner Mauer umgeben. Wie Leute sich wegen irgendeinem Schmarrn die Schädel einschlagen, weil sie nicht akzeptieren können, dass Menschen eine andere Meinung haben.
Wie stehst du zu Fehlern?
Ich weiß nicht, das Wort Fehler mag ich nicht so. Aber: Ich habe einmal Kapitalanlagen vertrieben und war sehr überzeugt davon. Ich habe damals zu wenig hinterfragt. Es gab ja eine Menge Geld. Ich habe auf die kritischen Stimmen nicht gehört, weil es in den Schulungen der Firma anders dargestellt wurde. Am Ende haben die einen Milliarden D-Mark Bauchfleck hingelegt.
Was hast du daraus gelernt?
Wenn du dich einmal für etwas begeisterst, das sich am Ende als Betrug herausstellt, willst du diesen Fehler nicht noch einmal machen. Aber ich habe auch gelernt, dass alles nur Erfahrungen sind. Wenn ich mich für nichts begeistern kann, kann ich auch andere von mir nicht begeistern.
Ist dir Geld wichtig?
Wenn man eine Leidenschaft für etwas hat, sieht man nicht nur die ökonomische Seite. Geld ist mir wichtig, aber es ist ein Werkzeug. Ich hätte kein Problem, wenn es keines geben würde.
Wie definierst du Helden?
Tja. Das ist eine sehr gute Frage. Für mich ist ein Held jemand, der seinen Prinzipien treu ist, der seiner Verpflichtung nachkommt – jener, seinen eigenen Interessen nachzukommen.
Würdest du dich als Held bezeichnen?
Da muss ich etwas ausholen. Ich habe in den vergangenen Monaten Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung gemacht. Ein Punkt, der vermittelt wurde, war, dass wir uns in der Regel nicht selbst anerkennen, für das, was wir erreicht haben. Wir reden uns gerne klein. Wir vergleichen uns mit anderen. Das mach’ ich zwar auch, aber ich kann anerkennen, dass ich Sachen im Leben erreicht habe, die bemerkenswert sind. Basierend auf meiner Definition bin ich ein Held. Es ist nicht alles so schlimm, wie man es wahrnimmt. Ich gebe dir ein Beispiel, wenn du wieder einmal im Auto unterwegs sein solltest und dich ein anderer Autofahrer schneidet. Dann kannst du dich furchtbar aufregen und schimpfen – aber im Endeffekt ist das nur deine Wahrnehmung und du weißt nicht, ob er es absichtlich gemacht hat.