Die mit den Haien taucht

Ocean Ramsey ist Meeresbiologin und eine unter wenigen Menschen auf dieser Welt, die ohne Schutz mit großen Weißen Haien tauchen. So intim, als wäre sie eine von ihnen. Einige der Tiere gestatten es ihr, sich an ihrer Rückenflosse festzuhalten. Wir haben die Hawaiianerin gefragt, was die Faszination “Hai” ausmacht. Ein Gespräch über ein Tier, das dämonisiert und kaltblütig abgeschlachtet wird. Anmerkung: Dieses Interview wurden bereits 2015 geführt und seitdem immer wieder aktualisiert.Ein Gespräch mit Ocean, das wir für die Plattform GMX aufbereitet haben, findet ihr hier

Ocean, wer bist du und kannst du dich kurz vorstellen?

Aloha erstmal! Ich widme mich der Erhaltung, dem Schutz und der Verhaltensforschung von Haien. Ich habe eine laufende Forschung, die sich einer riesigen Community erfreut, und sich mit dem Schutz von Haien beschäftigt. Ich lebe und arbeite hauptsächlich in Hawaii, habe aber Projekte auf der ganzen Welt. Kurz gesagt: Ich engagiere mich, um Haie zu schützen.

Was ist deine Motivation dahinter?

Es hat keinen Sinn wissenschaftlich zu arbeiten, wenn sich die Ergebnisse deiner Arbeit nicht auswirken. Wenn man sich ansieht, wie viele Haie pro Jahr weltweit getötet werden, und dadurch ihre Wichtigkeit für das Ökosystem in Relation gesetzt wird, dann ist es ein Muss zu erforschen, wie man sie vor dem Aussterben bewahren kann. Sie sind unsere Zukunft. Die Liebe zu Haien ist tief in mir verwurzelt. ch würde das alles nicht machen, wäre es nicht meine Leidenschaft. Sie spielen eine wichtige Rolle im Meeressystem, und dafür schätze ich sie sehr. Haie sind unglaubliche Wesen und werden völlig falsch dargestellt. Ich habe das Gefühl, ich bin es ihnen schuldig, für sie zu sprechen und sie zu schützen. Haie haben mir die schönsten Erinnerungen meines Lebens beschert.

Du hast gesagt, du arbeitest an Projekten auf der ganzen Welt. Kannst du mir ein bisschen darüber erzählen?

In Mexico erforsche ich den Zusammenhalt von jungen und alten Haien. Vor allem um zu verhindern, dass Babyhaie weiterhin auf Fischmärkte verkauft werden. In Costa Rica arbeite ich an einem Projekt, das sich mit dem Schutz der Geburtsplätze von Haien beschäftigt. Zusätzlich bin ich als Beraterin für ein internationales Haiprojekt tätig, das mit Wissenschaftlern und Forschern aus der ganzen Welt zusammenarbeitet. Demnächst starte ich ein Projekt auf den Fiji Inseln, um ein No-Finning Gesetz einzufordern (Gesetz gegen das Abschneiden von Haiflossen. Im Englischen “fins” = Flossen, Anm.). Das sind nur ein paar meiner Projekte (lacht).

Klingt ganz so, als ob dir nicht so schnell langweilig wird. Wie sieht ein gewöhnlicher Tag bei dir aus?

Wenn ich zu Hause bin, auf Hawaii, dann stehe ich um 5 Uhr in der Früh auf. Erstmal mache ich 20 Minuten Cardio-Training um in die Gänge zu kommen. Danach packe ich meine GoPros (Kamera, Anm.), meine Datenblätter und mein Equipment zusammen und schaue, dass ich mit meinem Forschungsboot gegen 6.30 Uhr im Wasser bin. Bei ruhigem Wetter begleiten mich oft bis zu sechs Personen, die etwas über die Biologie, Physiognomie, das generelle Verhalten und die Körpersprache von Haien lernen wollen. Ich lehre ihnen, wie ihr Verhalten im Wasser das Verhalten der Haie beeinflusst. Es geht um ein respektvolles Miteinander. Das bedeutet: achtsames Schwimmen mit den Haien. Ich begleite die Leute als “Safety Diver” durch das Wasser, und sammle nebenbei viele Daten für meine Forschungsarbeit.

Da sind also Leute dabei, die vorher noch keinen Kontakt mit Haien hatten? Wie sind die Reaktionen danach?

Die meisten Teilnehmer sagen, dass es eine der besten Erfahrungen ihres Lebens war und, dass sie nun ein völlig anderes Bild von Haien haben. Das ist ein großartiges Projekt. Ich habe das Gefühl, dass es einen gewaltigen Eindruck bei den Menschen hinterlässt und nachhaltigen Respekt für Haie schafft.

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Wie viel Zeit verbringst du selbst mit Haien?

Normalerweise verbringe ich etwa acht Stunden pro Tag im Wasser. Mit Haien und aktuell auch mit Buckelwalen. Die Teilnehmer sind meistens um die zwei Stunden mit mir unterwegs.

Wie und wann endet dein Arbeitstag überhaupt?

Wenn ich nach acht Stunden aus dem Wasser steige, mache ich noch eine Cardio- und Muskeltrainingseinheit, oder eine Freedrive Session mit Deprevation Training. Danach beginnt erst die Büroarbeit. Ich checke meine Mails und so weiter. Bis ich einschlafe (lacht).

Wie kam es zu deinem großen Interesse an Haien?

Das war schon immer da – seit ich denken kann. Ich habe schon immer Delphine, Seelöwen, Wale und jegliche Art von Fischen geliebt, aber Haie über eine ganz besondere Faszination auf mich aus. So richtig begonnen hat es, als ich 18 Jahre alt war, und Tauchkurse gegeben habe. Ich war damals für meinen Abschluss in Meeresbiologie am Forschen, und habe realisiert, dass sich die meisten Menschen nicht wirklich für Haie interessieren. Ich habe gesehen, dass die Meisten Angst davor hatten, einem Hai zu begegnen. Ich war immer total happy, wenn ich die Chance hatte einen zu sehen. Der Tauchunterricht gab mir  die Möglichkeit, den Menschen zu zeigen, dass Haie nicht ihrem Ruf entsprechen, und abgesehen davon, sehr wichtig für das Ökosystem sind. Das war die Zeit, in der ich mich entschlossen habe, mein Leben und meine Forschung den Haien zu widmen.

Kannst du dich an deine erste Begegnung mit einem Hai erinnern?

Da war ich noch ziemlich klein. Es war ein wunderschöner Leopardenhai. Eine unglaubliche Spezies. Das war bei den La Jolla Küsten in San Diego, als ich meine Großmutter besuchen war. Mein Vater ist in San Diego aufgewachsen und war schon immer ein begeisterter Taucher. Daher kommt auch meine große Leidenschaft.

Gab es auch so etwas wie einen besonderes Moment mit einem Hai, der dich so inspirierte?

Ja, ein ausschlaggebender Punkt war mein erstes Aufeinandertreffen mit einem großen Weißen Hai. Sein Name war Brucey, und er war und ist meine größte Inspiration. Er hatte so eine ruhige und einnehmende Art. Er tauchte in meinen Träumen auf, und ist auch ein wichtiger Charakter in meinem Buch, das demnächst erscheint. Als ich ihn damals  beobachtete, wurde mir bewusst, dass es da noch so viel über Haie zu lernen gibt. Viel mehr als bisher publiziert und kommuniziert wurde. Haie sind intelligente Wesen, und jeder, der mit ihnen arbeitet, wird das bestätigen. Ich hatte schon viele spezielle, atemberaubende Momente mit diesen unglaublichen Tieren.

Foto: www.oceanramsey.com
Foto: www.oceanramsey.com
Wann war das erste Mal, als du mit einem Hai frei geschwommen bist, ganz ohne Schutz?

Die meisten meiner Tauchgänge mit Haien habe ich ohne Schutz gemacht. Einen Käfig brauchte ich nur am Anfang meiner Studien. Einerseits, um den Tieren Respekt entgegenzubringen, und andererseits,um ihre Verhaltensweisen zu beobachten und zu analysieren. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich die Erfahrung hatte, um auch bei Weißen Haien den Käfig zu verlassen. Mittlerweile tauche ich auch in mir bekannten Gebieten frei mit den großen Weißen, und sammle Informationen über die von mir getaggten Tiere.

Du hast schon erwähnt, dass du auf Hawaii zu Hause bist. Daher der starke Bezug zum Meer und zu den Haien?

Meine eine Heimat ist Hawaii, aber da mein Vater aus San Diego (Kalifornien, USA) kommt, und ich dort sehr viel Zeit verbracht habe, würde ich beide Orte meine Heimat nennen. Aber mein Lebensmittelpunkt ist Hawaii, die meisten meiner Freunde und meiner Familie leben hier, und natürlich verbindet mich auch meine wundervolle Arbeit mit diesem wundervollen Ort. Ein Teil meiner Familie lebt noch in San Diego, wo ich selbst eine Zeit lang gelebt, und die kalten Gewässer studiert habe. Ich liebe es dort. Nur das eiskalte Wasser liebe ich nicht (lacht).

Also tauchst du lieber in den Gewässern vor Hawaii?

Ich denke, dass mir die Erfahrungen, die ich im kalten Wasser, bei schlechter Sicht, gemacht habe, jetzt enorm helfen. Das Jagdverhalten von Haien ist in klaren Gewässern anders als in Gewässern mit geringer Sicht. Was aber in San Diego lustiger ist: Es macht echt viel Spaß mit den kalifornischen Seelöwen zu tauchen. Die sind wie Unterwasser-Welpen. Die hawaiianischen Mönchsrobben sind da schon zurückhaltender (lacht).

Wie ist das Gefühl einen Hai zu berühren?

Eigentlich berühre ich die Haie nicht, es sei denn sie werden aufgeregt, oder es sind verspielte Tiere. Wenn ich sie berühre, dann um sie zu beruhigen oder die Hierachieebene zu durchbrechen. Wenn es größere Haie sind, dann achte ich zuerst darauf, ob es sich um dominante Alpha-Tiere handelt, oder der Hai meine Präsenz erlaubt. Wenn ein Tier die Berührung zulässt, ist es unglaublich. Es zeigt damit, dass es ein Vertrauen zu dir aufgebaut hat und sich nicht gestört fühlt. Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht, als ich in meinen jüngeren Jahren Pferde trainiert habe. Auch Pferde müssen erst die Sättel und die Reiter akzeptieren. Zum Gefühl selbst: bei den meisten Haien fühlt es sich weich an, ein bisschen wie Sandpapier. Haie haben eine ganz eigene Oberfläche.

Es ist wahrscheinlicher, dass ich bei einem Autounfall auf dem Weg zu den Haien sterbe, als durch einen Hai selbst.

Wenn du mit Haien tauchst, denkst du eigentlich auch an die Gefahren? Also, dass du getötet oder verletzt werden kannst?

Es ist wahrscheinlicher, dass ich bei einem Autounfall auf dem Weg zu den Haien sterbe, als durch einen Hai selbst. Ich habe wirklich schon sehr schlechtes Wetter bei meinen Tauchgängen erlebt, und ich fühle mich tausend mal sicherer im Wasser bei den Haien, als auf dem Boot, wo ich herumgeschleudert werde. Ich bin nicht der Mensch, der viel Zeit mit Schreckensszenarien verbringt. Nicht länger als notwendig zumindest. Ich trainiere viel, und versuche mich auf alle Situationen extrem genau vorzubereiten, um damit umgehen zu können. Ich mache auch ein Trauma-Trainingsprogramm, das genau auf diese Dinge ausgerichtet ist. Dort lernt man, wie man schnell und effektiv einen Haibiss behandelt, und so weiter.

Hat es schon einmal einen gefährlichen Moment gegeben?

Wenn du das Verhalten von Haien verstehst, und mit allen Einflüssen rundherum umgehen kannst, dann kannst du gefährliche Situationen vermeiden. Jedenfalls habe ich das Glück, dass die Haie scheinbar wissen, dass meine Haut nicht so dick ist wie ihre (lacht).  Außerdem achte ich auf meine Körpersprache, und darauf, dass ich mich entsprechend verhalte, wenn ich in ihre Heimat eindringe. Haie sehen uns nicht als ihre natürliche Beute, sonst hätte ich wohl kaum noch Arme und Beine. Es hat schon Situationen gegeben, in denen Haie mir gegenüber, auf Grund menschlicher Fehler, aggressiv wurden. Das waren immer auch Situationen, in denen Fischfutter im Spiel war. Haie sind wilde Tiere und Jäger. Als solche muss man sie respektieren.

Du tauchst ja auch Apnoe. Ist das notwendig, wenn man mit Haien tauchen will?

Luftblasen werden generell als aggressiv wahrgenommen, also ist Apnoe eine friedvolle Möglichkeit sich im Ozean zu bewegen. Ohne Lärm und ohne Luftblasen ist es mir möglich viel näher an die Haie ran zu kommen. In Hawaii nennen wir es Freediving, und so fühlt es sich auch an: frei (lacht). Wenn ich Apnoe tauche, dann fühle ich mich viel mehr mit der Umgebung und der Natur verbunden, und kann auch meine Körpersprache gegenüber den Haien besser zum Ausdruck bringen.

Wie tief kannst du mit Haien tauchen und wie lange kannst du die Luft anhalten?

Mit Training sind es 6 Minuten und 20 Sekunden. 11 Sekunden vom Nationalen Rekord entfernt. Was die Tiefe anbelangt, so gehe ich nie tiefer, als der oberste Hai, um die Rangordnung nicht zu stören. Mein tiefster Tauchgang mit einem Hai ging auf 53 Meter.

Wir, als die vermeintlich intelligentere Spezies, sollten unser Verhalten so anpassen, dass wir Konflikte mit Haien vermeiden.

Wie stehst du zu dem allgemeinen Image, das von Haien gezeichnet wird? Sind sie wirklich nur wilde Tiere und Jäger, die Menschen verletzten, weil diese sich falsch verhalten?

Als Professionistin in diesem Gebiet, und durch meine Erfahrung, kann ich sagen: Haie machen sehr wenige Fehltritte. Wenn sie welche machen, dann sind es durch Menschen verursachte Fehler. Die meisten Unfälle mit Haien passieren aufgrund von Verwechslungen zum Beispiel wenn Surfer mit ihrem Outfit wie Robben aussehen. Wir, als die vermeintlich intelligentere Spezies, sollten unser Verhalten so anpassen, dass wir Konflikte mit Haien vermeiden. Haie sind intelligent, neugierig und verteidigen ihr Revier. Sie werden von den meisten aber völlig falsch oder gar nicht verstanden. Haie werden dämonisiert.

Wenn man als durchschnittlicher Schwimmer oder Taucher mit einem Hai in Kontakt kommt, wie sollte man reagieren?

Augenkontakt ist das Wichtigste, um nicht als Beute wahrgenommen zu werden, sondern als gleichwertiger Jäger. Es ist auch wichtig sich langsam zu bewegen. Man sollte sich langsam im Gebiet des Hais bewegen, und sich auch umsehen, ob es noch andere gibt, die hinter einem schwimmen können. Das zeigt dem Hai, dass man nicht an einer Konfrontation interessiert ist. Sobald man zwischen 3 und 5 Meter außerhalb der Reichweite des Hais ist, zeigt ihm das auch, dass man außerhalb seines Territoriums ist – das beruhigt das Tier. Man muss immer vorbereitet sein, einen Hai wegzustoßen, wenn er zu nahe kommt. Dazu muss man ihn nicht schlagen oder verletzten, es reicht ein kurzes Wegdrücken mit steifem Arm, um dominante Haie abzuwehren. Sei dir immer bewusst: wenn du in das Meer steigst, dringst du in ihre Heimat ein. Also sei vorsichtig und sei respektvoll.

Foto: www.oceanramsey.com
Foto: www.oceanramsey.com
Was ist, wenn der Hai einfach hungrig ist?

Ich kann dir verschiedene “how tos” zeigen, wie man beispielsweise die Nase eines Hais wegdrückt. Das ist eine letzte Konsequenz, um aus dem Wasser zu steigen. Wenn man nicht aus dem Wasser rauskommt, hilft noch ein kräftiges Anblasen der Augen oder der Schnauze, dann wird der Hai schnell auch das letzte Interesse verlieren. Sofern man nicht von Blut oder Fischresten umgeben ist.

Würdest du dich selbst als Heldin bezeichnen?

Ich sehe mich nicht als Heldin, aber ich werde mein restliches Leben damit verbringen, aktiv für den Schutz von Haien und den Schutz der Meere einzustehen.  Für mich ist ein Held jemand, der Leben rettet und schützt. Ich habe einmal in Australien einen Hai gerettet, der sich in einem Hainetz verfangen hatte. Das mag auf die gesamte Hai-Population nicht viel sein, für mich war es jedoch ein wichtiges Zeichen, um Leute für den Kampf gegen diese Netze zu motivieren. Ich kann mit Stolz sagen, dass ich mit dieser Aktion, die Entfernung der Netze in diesem Gebiet erzielt habe. Das ist wahrlich ein nennenswertes Resultat.

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