Podcast killed the Radio Star? Könnte man annehmen, wenn man sieht wie sich Podcasts aktuell entwickeln. Spotify etwa testet gerade ein radioähnliches Podcast-Format, in dem auch Songs gespielt und präsentiert werden. Zwei, die das schon lange lange vor Spotify gemacht haben sind die zwei Grazer Alexander und Mathias. Sie stellen in ihrem Podcast “MUT – Musik und Talk” seit Jahren Künstlerinnen und Künstler inklusive ihrer Songs vor. Alles ehrenamtlich und aus Leidenschaft. Diese Ausdauer macht sich bemerkbar: Über 100 Podcast-Episoden gibts bereits. Mehrere Tausende Follower verfolgen die Arbeit der beiden auf Instagram und natürlich über Spotify. Ich habe mit ihnen über ihren Antrieb und ihre Motivation gesprochen.
Woher nehmt ihr diese Motivation, einen richtig profunden und umfassenden Musik-Podcast auf die Beine zu stellen und euch dabei – im Gegensatz zu anderen – gar nicht selbst zu profilieren?
Mathias: Hinter dem MUT-Podcast stehen zwei Freunde, die sich seit mehr als 20 Jahren kennen und absolute Musikliebhaber sind. Wir haben uns gegenseitig immer schon sehr gerne Musik vorgespielt. Ich hatte schließlich die Idee, einen Podcast zu machen, da ich selbst gerne welche anhöre. Die konkrete Idee zu einem Musikpodcast hat sich erst langsam herauskristallisiert. Wir haben zunächst recherchiert, welche Podcast-Formate es gibt, und festgestellt, dass es sehr wenige zu Musik gibt und fast keine, in denen sie auch gespielt wird. Wir mussten natürlich vor der ersten Sendung alle rechtlichen Fragen bezüglich der Musikausstrahlung klären.
Da das Format „Podcast“ davon lebt, etwas von sich zu erzählen, halten wir die Verbindung zu unseren bürgerlichen Namen etwas zurück. Wir möchten einfach nicht, dass man uns googelt und alles Mögliche über uns erfährt. Ein weiterer Grund ist, dass wir beide im metallischen Underground sozialisiert wurden. In diesem Milieu steht oft das Werk und nicht die private Person im Vordergrund. In gewisser Weise wollen wir diese Idee fortführen.
Alexander: Wir haben immer davon geträumt, gemeinsam etwas Kreatives zu gestalten und ich bin wahnsinnig stolz darauf, dass wir diesen Podcast unabhängig von der Anzahl der Hörer nun schon so lange konsequent fortführen. Besonders spannend daran ist für mich zu beobachten, wie sich das Projekt immerzu weiterentwickelt und wir nicht müde werden, neue Ideen einzubringen.
Was wollt ihr mit MUT vermitteln? Oder ist es letztendlich eure Leidenschaft, der ihr nachkommen wollt, ganz ohne Hintergedanken an ein großes Publikum?
Mathias: Primär wollen wir uns gegenseitig mit guter Musik überraschen. Wir wollen Künstler/-innen entdecken, die noch (relativ) unbekannt, aber sehr, sehr gut sind. Diese wollen wir auch einem breiteren Publikum präsentieren und im besten Fall folgende Reaktion bekommen: „Diese Band hab ich zum ersten Mal bei MUT gehört und jetzt sind sie Stars.“ Wir wollen uns der Musik widmen und diese teilen – möglichst frei von Szeneabhängigkeiten und Genregrenzen. Je mehr Publikum, desto besser. Zu Beginn bestand unser Ziel aus 10 Zuhörer/-innen pro Sendung, das haben wir mittlerweile definitiv erreicht. Es macht einfach Spaß, sich mit Bands/Labels und anderen Musikliebhaber/-innen zu vernetzen.
Alexander: Wir wollen den Zuhörer/-innen unsere Liebe zur Musik näherbringen und diese einzigartige und faszinierende Form menschlicher Ausdruckskraft würdigen.
Wie sucht ihr eure Gäste und Themen aus? Persönliche Vorlieben?
Mathias: Wir sind ein Follower-orientierter Podcast. Wer uns folgt oder sich mit uns austauscht, hat gute Chancen, zu uns eingeladen zu werden. Wir möchten außerdem auf unsere Follower-Playlist auf Spotify aufmerksam machen. Auf dieser finden sich hervorragende Künstler/-innen wie zum Beispiel K.WIENA. Unbedingt reinhören!
Alexander: Das Ziel ist es, eine Plattform zu bieten und eine Community zu schaffen, in der sich Künstler/-innen präsentieren und gegenseitig unterstützen können. Und zwar ganz im Sinne von Musik als verbindendes Element zwischen Menschen abseits von Konsum, Industrie und inhaltsleerer Selbstdarstellung.
Podcasts sind ja – wieder oder erst recht – im Trend. Ihr macht das nun doch schon etwas länger. Habt ihr das Gefühl, dass sich was tut? Verändert sich wirklich etwas?
Mathias: Ich höre seit 10 Jahren Podcasts. Die Quantität und Qualität haben sich enorm gesteigert. In Zukunft werden Podcast-Netzwerke „von unten“ eine größere Rolle spielen. Podcasts, die sich systematisch gegenseitig einladen und promoten. Ansonsten kann ich nur den Hang zur Professionalisierung, Monetarisierung und zur Plattformexklusivität erkennen, wobei das in vielen Fällen dann keine „richtigen“ Podcasts mehr sind. Ein Podcast muss über einen Web- bzw. RSS-Feed frei verfügbar sein. Was vielleicht in Zukunft eine stärkere Rolle spielen wird, sind Band- oder Label-Podcasts. Ein Label mit etwa 20 bis 30 Bands hätte über Jahre hinweg genug Material zur Verfügung. Gerade in diesem Bereich wären die Möglichkeiten für professionelle Aufnahmen ausreichend vorhanden.
Alexander: Da ich selbst kaum Podcasts höre, kann ich hierzu wenig sagen. Ich kann nur anhand des steigenden Interesses an unserer Arbeit sagen, dass ich der Entwicklung positiv gegenüberstehe. Ich denke aber, dass das kreative Potenzial des Formats an sich noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Weil ich gerade beim Thema Veränderung bin: Wie seht ihr den Status quo der Musikindustrie? Einmal weltweit und einmal in Österreich. Haben wir einen Grund zur Freude, weil sich so viel verändert und immer mehr Menschen einfachen Zugang bekommen, ihre Werke zu veröffentlichen, oder ist genau das eher ein Problem?
Mathias: Ich bin viel zu weit weg von diesem Business, um es beurteilen zu können.
Alexander: Festzuhalten ist, dass sich für die Konsument/-innen und Künstler/-innen durch das Streaming und Internet die Möglichkeiten, einerseits neue Musik zu entdecken und andererseits auf seine Musik aufmerksam zu machen, um vieles einfacher geworden ist. Aber durch die ständige Verfügbarkeit hat die Kunstform an sich an Wertigkeit verloren, was sich ja auch darin widerspiegelt, dass kaum noch jemand für Musik bezahlen möchte. Die Industrie bietet kaum Lösungen an, wie Musiker/-innen zukünftig von ihrem Schaffen leben können oder sollen. Außerdem stehe ich dem Trend, seine Musikauswahl den Vorgaben von Algorithmen zu überlassen, äußerst kritisch gegenüber. Mit unserem Podcast möchten wir dahingehend auch eine Alternative anbieten. Was die österreichische Musiklandschaft betrifft, bin ich froh, dass wir das Klischee des Austropop mittlerweile überwunden haben und heimische Künstler/-innen aus verschiedensten Richtungen mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen bzw. sich das Selbstverständnis von heimischer Musik emanzipiert hat.
Welche Musiker sind eure absoluten Favoriten – egal ob ihr sie schon gefeatured habt oder nicht – und warum?
Mathias: Da wir immer sechs Bands im Podcast spielen, gibt’s hier auch sechs Favoriten:
Ton Steine Scherben: Diese Band begleitet mich schon seit Jahrzehnten. Wirklich entdeckt habe ich sie aber erst sehr spät. Das Album „Keine Macht für Niemand“ kann ich mir in jeder Lebenssituation anhören. Text, Musik und auch die Lebensgeschichte von Ton Steine Scherben sind ein Orientierungspunkt in meinem Leben. Es ist immer wieder faszinierend, wie weit weg (zeitlich, sozial) und doch so nah Musik sein kann.
The War on Drugs: Das ist einer der wenigen aktuellen Bands, die sowohl ich als auch meine Lebensgefährtin sehr gerne hören.
Run the Jewels: Alexander hat mir diese Band im ersten Podcast vorgestellt. Seitdem sind Run the Jewels ständige Begleiter meines Lebens. Killer Mike ist eine herausragende Persönlichkeit, man sollte sich all seine Film- und Musikprojekte von ihm gönnen. Generell steht diese Band genau für das, weshalb ich unseren Podcast liebe: Man entdeckt eine Band, folgt ihrer Geschichte und Entwicklung über Jahre hinweg und baut eine gewisse Verbundenheit zu ihr auf.
Alexander: Für mich ist es fast unmöglich, dies auf wenige Künstler/-innen zu reduzieren. Aber um Mathias‘ Antwort zu vervollständigen, sage ich:
David Byrne: Seine schier nicht enden wollende Kreativität und sein stets kritischer Geist in seiner nun schon über 40 Jahre andauernden Karriere beeindrucken mich sehr.
Jan Philipp Eißfeldt (Jan Delay): Ich denke, dass nicht viele Künstler in den vergangenen 25 Jahren die deutschsprachige Musiklandschaft derart geprägt und beeinflusst haben wie er. Sei es als Rapper mit den Beginnern und Alben wie „Bambule“, als Solokünstler mit seinem Album „Searching for the Jan Soul Rebels“ zusammen mit der Sam Ragga Band oder später mit seinen Neo-Funk-Alben in Zusammenarbeit mit seiner Band Disko No. 1.
Gustav Mahler: Sein Einfluss als Komponist auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts kann eigentlich nicht hoch genug eingestuft werden. Er war einer der weltweit berühmtesten Dirigenten seiner Zeit und als Operndirektor in Wien hat er auch das Musiktheater nachhaltig reformiert. Ich verweise hier gerne auf Leonard Bernstein, der Mahlers Musik als Quintessenz aus 400 Jahren Musikgeschichte bezeichnete, die sowohl einen Albschluss als auch einen Neubeginn darstellt.
Macht ihr eigentlich auch selbst Musik, und wenn ja, welche?
Mathias: Ich kann weder singen noch ein Instrument spielen.
Alexander: Ich spiele seit meiner Kindheit Schlagzeug und bin derzeit in drei Projekten aktiv: in der Band des Wiener Singer-Songwriters Richard Kapp (www.richardkapp.com), beim Wiener Schmusechor (www.schmusechor.at) und im Bandprojekt EGO, zusammen mit dem jungen deutschen Komponisten Christoph Punzmann (www.punzmann.com), wo es nach ersten Live-Auftritten bald erste Veröffentlichungen geben wird. Weiters habe ich im Podcast die Möglichkeit, mich mit der Gestaltung unserer Intros zumindest ein wenig musikalisch kreativ auszudrücken.
Wer sind eure Held/-innen – egal ob musikalisch oder aus dem Alltag?
Mathias: Helden für unseren Podcast:
Dr. Nachtstrom aka @theelectricstoner: Er hat mit wenigen Worten das ausgesprochen, was wir uns über Jahre hinweg nur gedacht haben: „Um Kohle gehts bei uns ja wirklich net, sondern um die Community.“ Das wollen wir beibehalten und weiter intensivieren.
StoneFree Records: Durch dieses Label bzw. Frau Silvi Pearl hat sich der MUT-Podcast auf Instagram breitgemacht.
Alexander: Meine Held/-innen sind Künstler/-innen und kreative Menschen, die mit ihrem Schaffen dazu beitragen, die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen und der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten: seien es Schriftsteller/-innen wie Sibylle Berg oder Michel Houellebecq, bildende Künstler/-innen wie Maria Lassnig oder Jonathan Meese, Kabarettisten wie Hagen Rether oder Dave Chappelle oder Musiker/-innen wie Kendrick Lamar oder Björk, um nur einige zu nennen.