„Geld kann töten“

Seit 2002 widmet sich Franziska Becher der bildenden Kunst. Eine der aktuellen Arbeiten der 27-Jährigen Deutschen sind Patronen, die sie aus 50 Euro Cent Stücken fertigt. Darüber hinaus hat sie ein Modelabel gegründet, das speziell Kleidung für Künstler anfertigt. Leben, gesteht sie, kann sie von ihrer Kunst allerdings noch nicht. Aus diesem Grund ist Franziska im Nebenberuf Kellnerin. Ein Interview darüber, warum Geld nichts bedeutet und weshalb Kunst provozieren muss.

Franziska, du beschreibst dich selbst als Künstlerin – was dürfen sich unsere Leserinnen und Leser darunter vorstellen, was machst du?

Ich bin vor allem in der bildenden Kunst tätig, im Bereich der Konzeptkunst. Dabei versuche ich meine persönlichen Anliegen mit aktuellen Themen zusammenzufassen und multimedial umzusetzen. Für mich kann alles, was uns umgibt, zu Kunst verarbeitet werden. Mein Augenmerk liegt dabei auf dem tendenziellen Umgang der Gesellschaft im alltäglichen und persönlichen Kontext. Dabei spielen Religionen, Identitäten und Traditionen eine wesentliche Rolle. Ich versuche, Tendenzen zu analysieren und zu kritisieren, damit verleihe ich meiner Arbeit einen politischen Charakter.

Wie hat „das mit der Kunst“, wenn ich es so salopp formulieren darf, angefangen?

Schon als Kind habe ich gerne gemalt und gezeichnet. Das ging in der Schule so weiter. Ein einschneidendes Erlebnis war der Besuch bei einem Künstler. Damals, also 2002, war ich 14 und wir besuchten ihn in Marienberg, im Landkreis Erzgebirge, wo er Leiter des Kunstvereins war. Ich war beeindruckt von seinem Schaffen und von den Geschichten, die er zu erzählen hatte. Wir sollten ihm eine kleine Mappe mit unseren Arbeiten zeigen, die er dann bewertete. Meine Mappe beschäftigte ihn und er meinte, ich solle künftig einmal pro Woche zu ihm kommen, um künstlerische Erfahrungen zu sammeln. Er wollte kein Geld dafür, sondern ich sollte ihm einfach etwas im Haushalt helfen. Er war durch einen Unfall querschnittgelähmt. In diesem Kunstverein nahm ich dann Zeichen- und Malunterricht, und lernte diverse Techniken, auch im Bereich der Bildhauerei.  2008 begann ich dann mein Kunststudium an der Bauhaus-Universität Weimar und meine Arbeiten entwickelten sich hin zur Konzeptkunst.

Also war seit damals für dich klar, dass du Künstlerin werden willst?

Ich hatte schon immer den Wunsch, irgendwas mit Kunst zu machen. Die bildende Kunst finde ich von allen Künsten am schönsten. Ich bin der Meinung, dass Kunst die Welt zu ändern vermag. Mich fasziniert ihre universelle, ehrliche Sprache. Jeder Mensch ist anders, nimmt sie anders auf, deutet anders, reflektiert anders. Ich wollte lernen, diese universelle Sprache zu sprechen und zu schaffen.

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Du bist gebürtige Deutsche. Wir haben uns bei deiner ersten Österreich-Ausstellung hier in Wien getroffen. Jetzt interessiert mich natürlich, wo du sonst noch überall ausstellst bzw. ausgestellt hast?

Wenn wir von klassischen Ausstellungen sprechen, gibt es imDezember eine Gruppenausstellung mit dem Titel L’Intru Invaders in der RICHMIX Galerie in London, an der ich teilnehme. Darüber hinaus versuche ich gerade, weiterführend an meinem Kunstprojekt Cultured Accessoires zu arbeiten, das einhergeht mit der Flüchtlingsthematik, Trends, Religion und Glauben. Ansonsten habe ich schon in Griechenland, Ägypten, Italien und Deutschland ausgestellt.

Was ist für dich eine nicht-klassische Ausstellung?

Für mich heißt ausstellen, eine künstlerische Arbeit für andere sichtbar zu machen. Das muss nicht zwingend in der Galerie oder im Museum sein. Oft mache ich auch temporäre Arbeiten im öffentlichen Raum. Menschen können dann das Werk mit gestalten beziehungsweise, durch ihre Interaktion das Werk erst entstehen lassen.

Zum Beispiel?

Ein Gemeinschaftshappening 2012 in Griechenland, auf der Insel Hydra. Es trägt den Titel Psaropoula. Im Mittelpunkt stand dabei die Vermarktung dieser wunderschönen Insel, verbunden mit ihrer Atmosphäre, Identität, Gemeinschaft und Tradition. Was ich gemacht habe: Ich brachte 27 Café- und Restaurantbesitzer entlang der gesamten Strandpromenade dazu, an einem Freitag gleichzeitig und pünktlich um 4 Uhr am Nachmittag die Originalfassung des traditionellen Schwammfischer-Volkslieds Psaropoula zu spielen. Bis kurz vor Start war nicht klar, ob das auch klappen würde, denn dazu war die Teilnahme von allen wichtig. Also spielte das Vertrauen eine sehr entscheidende Rolle. Es hat geklappt.

Fühlst du dich von der Politik als Künstlerin genügend unterstützt und gewürdigt?

Künstlerische Berufe sollten aus meiner Sicht viel mehr gefördert werden, da sie nicht selten eine alternative Sicht auf soziale, politische und gesellschaftliche Prozesse bieten. Es ist aber schon einmal eine Errungenschaft, dass Kunst an sich überhaupt möglich ist.

Ist Europa ein gutes Pflaster für Künstlerinnen und Künstler?

Ich glaube, man kann sich als Künstlerin oder Künstler in Europa frei entfalten. In vielen anderen Ländern gibt es strenge Regularien, Gesetze, Zensur, dominierende religiöse Dogmen, und künstlerische Bildung und Lehre sind stark eingeschränkt.

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Foto: Max F. Albrecht
Um zu deiner Kunst zu kommen: Du formst Patronen aus Geldstücken – inwieweit ist das Kunst, inwieweit ist das Provokation?

Provokation gehört zur Kunst dazu. Wobei ich meine, dass Provokation eher ein Effekt ist, der durch andere wahrgenommen wird. Was du hier erwähnst, ist eine Multiple. Kleine Objekte in limitierter Stückzahl. Es zeigt eben in einer minimierten, rationalen und radikalen Form, dass Geld kein bloßes Tauschmittel ist, sondern eben auch Vermittler. Es kann über Selbstwert entscheiden, Gefühle hervorrufen, Glück oder Unglück nach sich ziehen. Geld nimmt Einfluss auf das soziale Verhalten, die Definition der Lebensqualität, das Dasein des Menschen und kann es imPositiven wie im Negativen beeinflussen. Geld schafft es, Menschen zu instrumentalisieren. Es hat enormes Machtpotenzial, kann Konflikte und Kriege auslösen. Geld wurde vom Menschen erfunden und es vermag das Menschliche zum Unmenschlichen zu machen. Wenn wir heute die aktuelle Flüchtlingsthematik betrachten, dann lässt sich der Geldgedanke nicht unterdrücken. Ich thematisierte bereits in mehreren Arbeiten die Themen „Geld“ und „Europäische Union“, und damit politische Bedeutungsebenen, die mir spannend erscheinen.

Ja, ich denke, Geld kann töten.

Kann man die Botschaft hinter diesem Projekt so verstehen, dass Geld tötet? Ist Geld per se schlecht, wie siehst du das?

Ja, ich denke, Geld kann töten, da es uns physisch und psychisch beeinflusst. Ich würde nicht meinen, dass Geld nur schlecht ist. Es macht eine gesellschaftliche Struktur aus, durch Bewertung von Objekten und Lebensmitteln und Anerkennung für Leistungen.  Geld wertet alles, was uns umgibt. Geld kann ein Antrieb sein, und unsereEntwicklung fördern. Aber natürlich: Eigene Interessen können aufgrund der Dominanz des Geldes, und dem Verlangen danach, verloren gehen. Ich könnte jetzt eine Performance machen, raus gehen und mit einem Kassenlaserscanner alles, was ich draußen sehe, auspreisen. Dann hat plötzlich alles einen Wert. Doch welchen Wert hat es für dich als Person? Was wirklich schwierig ist, ist den Dingen erst einen Wert zu geben, ohne einfach eine Determinierung zu akzeptieren.

Aber um etwas konkreter zu werden: wie gehst du mit Geld um?

Es ist für mich ein notwendiges Übel, reines Mittel zum Zweck, bloßes Tauschmittel. Es steht bei mir nicht an erster Stelle. Ich kann nicht damit umgehen, weil ich es nicht wertschätzen kann. Ich spare auch nicht und bin eher von spendabler Natur. Ich versuche, mit den mir gegebenen Möglichkeiten frei und uneingeschränkt zu leben und glücklich zu sein. Ich versuche, mich davon nicht leiten zu lassen.  Geld steht nicht an erster und zweiter Stelle, dafür gibt es einfach zu viele wertvollere Dinge.

Für Unternehmer stellt Geld eine Kunst dar.

Wie glaubst du, könnte man diese Geldfixierung loswerden? Kann es auch sein, dass für manche auch Geld eine Kunst ist?

Ich glaube man sollte nie aufhören, Dinge zu hinterfragen. Man ist stets konfrontiert mit der Geldfixierung. Man kann nur versuchen, sich nicht immer davon leiten zu lassen. Für Unternehmer, würde ich meinen, stellt Geld eine Kunst dar, da sie darauf hinarbeiten, wie Künstler auf ihre Kunstwerke. Oder für kommerzielle Galerien: da steht Geld mit Kunst zumeist auf gleicher, wenn nicht sogar höherer Stelle. Man kann Geld als Material verwenden und zu Kunst transformieren. Ansonsten würde ich nicht sagen, dass Geld Kunst ist, da die Eigenschaften von Kunst und Geld viel zu kontrovers sind, somit kann es nicht verglichen werden.

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Kannst du von deiner Kunst leben?

Nein, von meiner Kunst kann ich nicht leben. Ich arbeite nebenbei noch als Kellnerin. Es ist ein guter Ausgleich. Z udem zeigt es die unterschiedlichen Berufsfelder, in denen man sich als Künstler bewegt. Alles ist gleichwertig, wichtig und gut. Ein Grundgedanke meines Modelabels „Personal Artist“ bezieht sich thematisch darauf. Ich glaube, eines meiner Ziele ist, glücklich und erfüllt zu sein und dem nachzugehen, was mir Freude bereitet.

Momentan übe ich Plan B aus

Du hast gerade dein Modelabel erwähnt: ist das dein Plan B? Welche Mode machst du?

Schön wär’s. Nein, es ist mein Plan A. Momentan über ich Plan B aus: Kellnern, um mich über Wasser zu halten. Mode ist nicht nur Kleidung. Mode ist der zeitgemäße Geschmack dessen, was gerade im gesellschaftlichen Kontext vorherrscht. Ich versuche Kontramode zu gestalten, die sich abhebt, die sich nicht am ständigen Wechsel von modischen Einflüssen orientiert – mittels Kleidungsanalysen und mit einem Augenmerk auf der Bedeutung und Stellung des Künstlers.

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Das heißt, deine Mode ist speziell für Künstler konzipiert? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Es stellte sich mir die Frage, ob Künstler an sich eine spezielle Kleidung tragen, welche ihren Berufsstand charakterisiert und erkennbar macht – ob nun im Atelier oder bei öffentlichen Auftritten. Diese Kleidung resultiert auch aus Erfahrungen, die ich durch Beobachtungen von Künstlerkollegen und Galerien machte. Wieso trägt man das, was man trägt? Möchte man nur gefallen? Möchte man auffallen? Bedient man seine Eitelkeit? Bedient man sich eines Wiedererkennungswertes? Geht es um Kommerz, um werbewirksames Auftreten? Oder bringt man nonverbal mit einem speziellen Outfit seine eigene Meinung, seine Zugehörigkeit zu einer Gruppierung oder seine Ideale zum Ausdruck? Und wie lauten die Antworten darauf? Ich bin auf die Begrifflichkeit einer „individuellen Künstleruniform“ gekommen, einen neuartigen Begriff, den ich versucht habe, zu definieren. Ich kam auf das Starsystem, also die Vorbildfunktion von Kleidung. Äußere Bekleidungsmerkmale der „Stars“ können bei den „Fans“ durch das Tragen der Mode ihrer Ikonen ein Gefühl des Dazugehörens hervorrufen und die Verbundenheit sowie das Selbstbewusstsein stärken. Dazu weisen Popstars und Stilikonen den Weg in neue Trends.

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Du untersuchst also, wie äußere Merkmale die Identität definieren?

Richtig. Das habe ich versucht, künstlerisch zu transformieren. Wer ist heute Künstler? Was arbeiten wir? Welche Brotjobs üben wir aus? Wie definieren wir uns? Durch einen sich wiederholenden Kleiderstil erfährt man einen Wiedererkennungswert und kann auf Ideologie, Ideen, Ideale, Zugehörigkeit zu ethnischen und religiösen Gruppen schließen. Mein Modelabel „Personal Artist“ analysiert das. Die Werkgruppe ist nicht nur für Künstler konzipiert, sondern für jeden. Ich habe die Modelinie mit dem Mythos der Bauhaustracht in Verbindung gebracht. Der Mythos um die Bauhaustracht ist sehr komplex und für mich zu einer Legende geworden.

 

Info: Ikonen der Bauhaustracht

Johannes Itten (in einer religiösen Kluft, die die Lehren der Mazdaznan verkörpert), Moholy-Nagy (in einem blauen Arbeitsoverall), Oskar Schlemmer mit seinem Triadischen Ballett, die Bekleidung der Studierenden (in der Nachkriegszeit trugen sie umgeschneiderte Uniformen), die Bauhaus-Feste mit den unterschiedlichsten Kostümen und zu guter Letzt die Bauhausfarben, -formen und das Leitmotiv „form follows function“.

Info: Die Bauhaustracht per Definition 
1. Sie [die Bauhaustracht] verändert sich nicht grundsätzlich, sondern nur im Detail und richtet sich nicht nach der vorherrschenden Mode. 2. In jedem Kleidungsstück müssen die drei Bauhaus-Farben vertreten sein. Die Modelinie verkörpert damit eine Produktreihe, unabhängig von Mode in Form einer Uniformierung, die sich aufgrund ihrer Modularität wandeln und anpassen lässt.

Entwirfst und nähst du die Mode selbst?

Ich entwerfe sie, nähe aber nicht selbst.

Was motiviert dich, täglich aufzustehen und „dein Ding“ zu machen – welches Ziel steckt dahinter?

Der Gedanke daran, die Welt ein klitzekleines bisschen besser zu machen.

Wie definierst du den Begriff Helden?

Eine Heldin oder ein Held ist ein Wesen, das von anderen durch großartige Fähigkeiten, Einstellungen, Handlungen und Eigenschaften als solche/r gewürdigt und verehrt wird und meist eine Vorbildfunktion einnimmt. Der Charakter, die Person, die einen Helden darstellt, kann dabei fiktiv oder real sein. Der Begriff wurde meines Erachtens aber oftmals unbegründet gebraucht, Idealvorstellungen in ihn hineinprojiziert, die durchwoben waren von Legenden und Sagen, der Begriff wurde religiös und politisch missbraucht, zur Motivation genutzt (z.B. „den Heldentod sterben“), aber auch als Rechtfertigung oder Leitmotiv für (Un-)Taten verwendet. Ich denke auch, dass als Grundmotivation eines Helden der Grundgedanke angesehen wird, sich in eine waghalsige Situation zu begeben. Meines Erachtens wandelt sich heutzutage der Begriff, er taucht in der Showbranche auf, im Sport und in der Mode.

Foto: Claus Bach
Foto: Claus Bach
Würdest du dich selbst als Heldin bezeichnen?

Es gibt reale Helden, Menschen, die außergewöhnlich positive und gute Taten vollbringen, wobei Helden oftmals als übermenschlich dargestellt werden. Für mich können sich heldenhafte Taten in kleinen Dingen ausdrücken. Wir können alle heroisch handeln, jedoch nur menschlich, nicht übermenschlich. Wir sind alle besonders, wir sind alle Helden.

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