Aus gutem Holz

In seiner rumänischen Heimat längst als Held angesehen, erzählt uns der bescheidene Holzbildhauer Daniel Bucur seine Geschichte von Kindheitsträumen und Jugend in Rumänien, der positiven Eingliederung in Österreich, dem unglaublichen Lebensweg seiner Schwester, und lässt uns dabei spüren, aus welchem Holz er selbst geschnitzt ist. 

Gemeinde Gols, Burgenland.

Ich verlasse mein Elternhaus, laufe die Baumgartengasse für 400 Meter entlang, biege in die nächste Gasse links ein und läute an der Klingel eines Hauses, das ich seit 16 Jahren nicht mehr betreten habe. Mir öffnet, in der Freundlichkeit von damals, Daniel Bucur. Seit ich mit 8 Jahren einen Holzschnitzkurs bei ihm belegt habe, kannte ich Daniel als den immer frohen Künstler aus meiner Nachbarschaft.

Daniel lebt hier mit seiner Frau und seinen drei Kindern.

Die Werkstatt, in der er seine Skulpturen anfertigt, hat sich bis heute nicht verändert. Auch der alte Ofen, auf dem wir Kinder unsere 10-Groschen-Stücke eingeschmolzen haben, wenn unser Meister kurz mal nicht hinsah, steht noch an seinem gewohnten Platz.

Gut in Erinnerung sind mir auch Daniels Mahnungen geblieben: „Niemals irgendwo anders herumschnitzen als auf dem eigenen Stück Holz.“ Und auch, dass ich, seiner Worte ungeachtet, am nächsten Tag mit einem verbundenen Finger in der Schule saß.

Daniel war der Inbegriff eines Meisters. Mit schier unendlicher Geduld widmete er sich jedem seiner Schüler, stets bemüht ihnen zum selbstständigen Schaffen eigener Holzskulpturen zu verhelfen. Nun wird es Zeit, seiner Geschichte zu lauschen.

Foto: Armin Knöbl
Foto: Armin Knöbl

Ich bin als ältestes von insgesamt acht Geschwistern auf dem Bauernhof meines Großvaters in Rumänien aufgewachsen. In den Sommermonaten sind immer alle Schafe unseres Dorfes zusammengetrieben und auf eine Alm gebracht worden. Immer wieder hat mich mein Großvater auf die Alm mitgenommen. Von der Arbeit der Hirten auf dieser Alm war ich fasziniert, noch mehr aber von ihren aus Holz gefertigten Hirtenstöcken. Diese waren wundervoll ornamentiert. Ich war begeistert, bis ich 15 war wollte ich unbedingt Hirte werden. In dieser Zeit habe ich immer wieder geschnitzt, habe mich an ebensolchen Hirtenstöcken versucht. Gemeinsam mit meinen Freunden aus dem Dorf habe ich einige Spielzeuge aus Holz gefertigt: Bögen, kleine Windräder und Vögel. Einer meiner Nachbarn war ein wenig geschickter als ich. Er hat auch viele praktische Sachen aus Holz gefertigt, beispielsweise einen Lampenschirm. Ich jedoch habe nie ich etwas Konkretes gemacht, nie etwas “das bleibt”. Ich habe immer so lange geschnitzt, bis das Stück Holz weg war. Meine Großmutter hat einmal gesagt: “Daniel schau, Johan (mein Nachbar), macht etwas Nützliches aus dem Holz und du, du schnitzt nur sinnlos herum, warum?

Eines Abends auf der Alm, als die Schafe gemolken, die Arbeit getan war, saßen alle bei einem offenen Feuer, schöner Flötenmusik lauschend, zusammen. Da hat einer von einem Hirten erzählt, der einen Löffel geschnitzt hat, an dessen Ende lose ein Ring hing. Dieser Ring war aber aus ein und demselben Holz geschnitzt wie der Löffel. Irgendwie blieb mir diese Geschichte im Kopf. Einige Jahre später wollte mir ein Freund zeigen, wie diese besondere Technik funktioniert. Er hat es aber nicht geschafft, das Holz ist immer wieder gebrochen. Aber ich habe die Arbeitsweise verstanden, und begann, Dinge wie beispielsweise eine Kette aus nur einem Stück Holz zu fertigen.

Es war ein Interesse da. Ein Bedürfnis, zu schnitzen.

Foto: Thomas Sieberer
Foto: Thomas Sieberer

Während meiner Studienzeit besuchte ich einmal ein Museum, in dem Stücke der rumänischen Volkskunst ausgestellt waren. Da gab es schön geschnitzte Löffel, Trinkbecher und Hirtenstöcke. Ich habe mir alle Details angesehen und mir dann gedacht: “Mama mia, ich glaube, ich kann das besser.“ Als ich die Museumsdirektorin fragte, wer diese Sachen gefertigt hat, meinte sie nur: “Der Meister”

Ich sagte ich möchte ihn gerne kennenlernen, und sie rief ihn sofort an.

Der Mann, den Daniel traf, heißt Nicolae Purcarea. Er verbrachte während des Kommunismus 22 Jahre seines Lebens im Gefängnis.

Wir wurden damals gleich Freunde. Als ich ihm einige meiner Werke zeigte, meinte er: Du hast eine gute Hand. Das ist ein Geschenk von Gott. Das was du kannst können nicht viele. Dass der Meister mir solche Worte schenkte, war etwas Großartiges für mich.

Im November letzten Jahres habe ich jenen Mann besucht. Er ist heute 92 Jahre alt.

Er meinte damals zu mir: “Wenn du möchtest, komm mit mir und wir machen die nächste Ausstellung zusammen. Ich begann also auch, Stücke der rumänischen Volkskunst zu schnitzen. Wir haben dann immer wieder zusammen in ethnographischen oder Freilichtmuseen ausgestellt. Ich durfte zu dieser Zeit, Ende der 80er, viele schöne Dinge erleben, habe andere Künstler kennengelernt, gab Interviews in TV und Radio. 

Zu dieser Zeit war ich wie besessen vom Schnitzen. Ich erinnere mich, dass ich einen Löffel gefertigt habe, mit dem ich erst um ein Uhr früh fertig war, trotzdem bin ich sofort hinüber zum Meister gelaufen und habe ihm mein Werk gezeigt.

Mit Mitte 20 hatte Daniel immer wieder kleine Erfolge mit eigenen Ausstellungen.

Zu dieser Zeit habe ich meine Frau Florentina geheiratet. Auch sie hat zu schnitzen begonnen. Wir machten so manche Ausstellung gemeinsam. Langsam hatte ich eine kleine Kollektion, wurde zu verschiedenen Veranstaltungen eingeladen, und hatte eine eigene kleine Werkstatt.

Foto: Thomas Sieberer
Foto: Thomas Sieberer

1988, also noch in der Zeit des Kommunismus, kurz vor der rumänischen Revolution, ist eine meiner Schwestern, Niki, mit ihrer Tochter nach Österreich geflüchtet. Sie hat eine Wohnung in Gols und einen Job in Wien bekommen.

Ich habe ihr damals einige Löffel und Armreifen aus Holz als Geschenk gesendet.

Eine Dame vom Gemeindeamt Gols, die meine Schwester damals unterstützt hat, wurde auf die Stücke aufmerksam. Ich kann mich noch gut an ein Telefonat mit meiner Schwester erinnern: “Daniel! Weißt du wo ich bin? Im Büro des Bürgermeisters. Sie wollen dich einladen, um mit einer Ausstellung nach Österreich zu kommen. Hast du genug Kunstwerke, die du bringen kannst?

Natürlich hatte ich die.

Ich bekam einen Folder zugesandt, in dem ich für den kommenden Kultursommer als Aussteller angekündigt wurde. Das war das Größte für mich!

Ich bin nach Österreich gegangen, mit meinen zwei Koffern voller Kunstwerke, und habe die Ausstellung gemacht. Ich habe mit dem Verkauf meiner Kunstwerke 21.500 Schilling verdient. Das waren fast drei ganze Löhne in Österreich. Nach der Ausstellung sagte der Bürgermeister zu mir: “Daniel, nächstes Jahr wieder!” Ich konnte damals kaum Deutsch, aber das habe ich verstanden.

Foto: Thomas Sieberer
Foto: Thomas Sieberer

Die Menschen hier haben mich unermüdlich unterstützt, haben mir geholfen, Papiere für mich und meine Familie zu bekommen, damit wir in Österreich bleiben konnten. In das Haus, in das wir zogen, bauten Dorfbewohner sogar eine neue Küche für uns ein. Wir wurden herzlichst in der Gemeinde aufgenommen. Ich habe einen Job als Möbelrestaurateur bekommen, habe die Christusstatue für den Friedhof, und unzählige Fässer für die Golser Weinkeller gefertigt. Einmal sagte ein Dorfbewohner zu mir: “Daniel du brauchst keinen Chef, du musst alleine arbeiten.”

Er hatte recht. 1994 wurde ich als einziger Holzbildhauer des Burgenlands anerkannt, bekam einen Gewerbeschein und konnte von da an selbstständig arbeiten. Ich habe einen Kredit aufgenommen, mir ein Auto, Tischlereimaschinen und Werkzeug gekauft.

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Es ist alles andere als selbstverständlich, dass die Integration der Familie Bucur in Österreich so reibungslos funktionierte. Mittlerweile leben viele von Daniels Geschwister hier. Eines davon hat eine ganz besondere Geschichte.

Meine Schwester Joana war das fünfte Kind in der Familie. Sie wurde 1972 geboren. Drei Wochen nach ihrer Geburt erlitt sie eine Gehirnhautentzündung. Im Krankenhaus wurde sie falsch diagnostiziert, blieb aber unfassbare eineinhalb Jahre dort. Das war eine tragische Zeit für uns alle. Als sie nach einer Ewigkeit mit den Worten: “Wir können nichts mehr machen”, wieder zu uns gebracht wurde, war sie blau angelaufen und hatte verdrehte Beine.

Meine Großmutter hat sich Joana angenommen. Nach zwei Monaten war sie wieder sehr lebendig, bekam wieder Farbe im Gesicht, begann wieder zu leben. Sie war wieder ein normales Kind. Als sie in die Schule kam, wurde bei ihr jedoch eine geistige Behinderung festgestellt. Sie konnte sich nichts merken. Joana sollte ins Kinderheim kommen. Unser Vater sagte: “Nein, Joana bleibt bei uns! Ich gebe in den Kochtopf noch eine Tasse Wasser und sie hat auch was zu essen.” Das war immer sein Spruch.

Natürlich machten wir uns alle Sorgen. “Was wird aus unserer Joana?”

Meine Schwester Niki, die damals nach Österreich geflüchtet war, nahm Joana bei sich auf. Dann wurde sie abermals krank, ihre Niere war völlig kaputt, und sie wäre fast gestorben. Wieder wurde eine Dame der Gemeinde Gols zu unserer Heldin: Sie hat alles organisiert, damit Joana im St. Anna Kinderspital operiert werden konnte. Joana wurde wieder völlig gesund. Sie bekam einen Platz in einer Behindertenwerkstätte. Dort machte sie viel Sport, schaffte es zu den Paralympics nach Japan, holte dort zwei Gold- und eine Silbermedaille. Unsere Joana wurde 2007 zu Österreichs Sportlerin des Jahres gewählt, zusammen mit Benjamin Raich und Michaela Dorfmeister.

Positive Überraschungen finden zu dir, wenn du dir selbst treu bist.

Ich weiß es noch ganz genau, als wir, die gesamte Familie Bucur, die Sportgala im TV verfolgt haben. Joana wurde interviewt. Unter Tränen sah ich ihr gesamtes Leben wie einen Film an mir vorbeilaufen. Meine Schwester ist eine sehr starke Persönlichkeit, hat nun eine Wand voller Medaillen zuhause, und ist glücklich. Wenn du auf deinem Weg bist und bleibst, bekommst du ganz von selbst positive Überraschungen. Diese finden zu dir, weil du dir selbst treu bist.

Mensch zu sein und zu bleiben, das ist das Größte was es gibt.

Auch in Österreich ist Daniel seinen Weg gegangen, ein Wiener Hotelbesitzer hat bereits über 100 Skulpturen von ihm gesammelt.

Mein Vater hat immer gesagt: “Erfolgreich oder berühmt zu werden ist keine große Sache, ein Mensch zu sein und zu bleiben, das ist das Größte was es gibt.”

Ich bin kein weltbekannter Künstler, ich lebe hier in Gols, kann meine Familie durch den Verkauf meiner Skulpturen ernähren. Mehr brauche ich nicht. Natürlich könnte ich Werbung machen, und nach mehr Bekanntheit streben, aber das möchte ich nicht. 

Foto: Thomas Sieberer
Foto: Thomas Sieberer

1996 hat Daniel zum Anlass 1000 Jahre Österreich sein Lebenswerk als Künstler geschaffen: Eine Kette mit tausend Gliedern aus einem Stück Holz.

Fünf Monate lang habe ich nur an diesem Stück gearbeitet, ich war wie besessen. Wahrscheinlich wollte ich mir selbst auch beweisen, dass ich es kann.

Das war wirklich eine verrückte Sache, die ich vermutlich nicht noch einmal so machen könnte.

Bis eine Skulptur in meinem Kopf entsteht, und ich sie dann zum ersten Mal auf Papier zeichne, herrscht Kreativität und Leichtigkeit in meinem Kopf. Danach beginnt die brutale, schwere Arbeit. Dann schleife, schneide, bohre und hämmere ich, bis die Skulptur so ist, wie ich sie mir vorgestellt habe. Das Allerschönste aber bleibt, wenn ich ein Stück Holz finde, das von der Natur wunderschön geformt wurde, und ich es nur noch vollenden muss.

2012 bekommt Daniel den Theodor Kery Preis für bildende Kunst verliehen. In seinem rumänischen Heimatort steht mittlerweile das “Daniel-Bucur-Kulturzentrum”.

Bei dessen Einweihung war auch mein alter Nachbarsfreund Johan anwesend. Ich spaßte in meiner Rede: “Es hat sich im Vergleich zu damals nicht wirklich etwas geändert. Auch heute mache ich noch nichts Brauchbares aus dem Holz, aber jetzt ist es mein Leben.”

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