Sie nennt ihre Musikrichtung “Boarischer Alkopop” und erobert mit bayrischen Mundarttexten auf eingängigen Partybeats die Streamingplattformen und Radiostationen. Anja Bavaria ist mit über 200.000 Streams und 4.000 monatlichen Hörern auf Spotify und Zehntausenden Plays auf YouTube das Paradebeispiel dafür, wie man sich als Musikerin in Eigenregie heutzutage auch ohne Label und Radio-Airplay eine weitreichende Fangemeinde via Social Media aufbauen kann. Im Helden-von-heute.at Interview spricht sie aber nicht nur über ihre Musik, sondern auch über ein anderes wichtiges Thema: nämlich den sexistischen Gegenwind, der ihr als Künstlerin auf sozialen Plattformen, aber auch in Interviews entgegenschlägt.
Anja, wann war für dich klar „Ich mach Musik, sonst nix“ oder gibt es noch einen Plan B abseits der musikalischen Karriere?
Diesen Entschluss habe ich tatsächlich noch gar nicht gefasst. Nicht, weil ich nicht wollen würde, sondern weil es finanziell noch nicht möglich wäre. Ich stehe noch am Anfang meiner musikalischen Karriere und die Pandemie macht es zusätzlich noch schwieriger, davon zu leben. Aber was nicht ist, kann noch werden! Plan B: Seit Oktober habe ich meinen Masterabschluss in Medien- und Kommunikationswissenschaft in der Tasche!
Ein bayrisches Onlinemagazin schreibt, du hast bereits in jungen Jahren ein Angebot einer Plattenfirma abgelehnt – eine deiner bekanntesten Songs heißt „Wuid X Frei“: Ist damit dein Charakter schon beschrieben? Machst du gern dein eigenes Ding, auch wenn du dafür mit dem Kopf durch die Wand musst?
Tatsächlich war mir mit 14 Jahren schon wichtig, mich nicht verbiegen und in Schubladen pressen zu lassen, in die ich nicht hineinpasse. „Wuid und frei“ hat sich für mich zu einem Glaubenssatz entwickelt, an dem ich mein ganzes Leben festhalten möchte. Deshalb ziert es nicht nur meine erste EP, sondern auch als allererstes Tattoo meinen Körper. Quasi als ewige Erinnerung daran, mich nicht einengen und verbiegen zu lassen – auf alle Lebensbereiche bezogen. Denn so abgedroschen, wie es klingen mag: Am Ende muss man SELBST mit seinem Handeln und seiner Persönlichkeit im Reinen sein und nicht die Anderen.
Wieso hast du dich letztendlich für Mundarttexte entschieden?
Weil es meine Muttersprache ist und am besten zu mir passt. Beziehungsweise kann ich mich darin meinem Empfinden nach am authentischsten artikulieren. Ich spreche gerne Dialekt und mag generell sämtliche Dialekte sehr gerne. Meine Eltern haben mich auch schon seit ich denken kann mit Mundartmusik beschallt. Vielleicht hat mich das ebenfalls unterbewusst geprägt.
Und sind da ein paar Künstler hängen geblieben, die dich besonders inspiriert haben? Was beeinflusst dich beim Songwriting?
Meine Inspiration beim Songschreiben nehme ich aus meinem Leben, schnappe aber auch Geschichten aus meinem Umfeld auf. Früher habe ich klassisch mit der Gitarre oder dem Klavier die Songs geschrieben. Seitdem ich weg vom Pop/Rock-Genre bin und eher elektronische Musik mache, komponiere ich die Hintergrundmusik nicht mehr selbst, sondern bediene mich an sogenannten Beats anderer Produzenten. Ich höre hunderte Beats durch und wenn sich bei einem Beat gefühlstechnisch etwas in mir regt, schreibe ich einen eigenen Text und eine für mich passende Melodie dazu. Mein Plan ist es aber, diese Instrumentals in Zukunft selbst zu komponieren und zu produzieren. Dafür muss ich mich auf technischer Seite allerdings noch weiter in diesen Bereich einarbeiten.
Du bist auf Spotify mit über 200.000 Streams schon erfolgreich unterwegs. Glaubst du, dass Mundartmusik – speziell bayrische – in und rund um Bayern einfach die besseren Karten hat? Und inwieweit zählt Radio-Airplay für dich noch – muss man heute als Musiker noch im Radio gespielt werden?
Ich denke nicht, dass Mundartmusik generell die besseren Karten hat. Speziell im Radio mache ich selbst – aber auch viele andere befreundete Mundartkünstlerinnen – da eher gegenteilige Erfahrungen. Allerdings höre ich auch immer wieder von Kolleginnen, die schon Jahrzehnte im Geschäft sind, dass die Mundartmusik heutzutage auf viel mehr Akzeptanz und Vorliebe trifft, als das zum Beispiel noch in den 90er Jahren der Fall war. Der Dialekt ist wieder „angesagt“. Dennoch wollen die bayerischen Radiosender glaube ich eher ein großes Publikum ansprechen und da funktionieren vermutlich internationale Hits besser als regionale. Das verstehe ich auch. Es gibt allerdings seit Oktober einen DAB-Sender, der nur Mundart aus Bayern, Österreich und der Schweiz spielt. Das sei positiv anzumerken an dieser Stelle. Generell denke ich jedoch, dass man heutzutage als Künstler*in nicht mehr unbedingt auf klassische Medien angewiesen ist. Durch das Internet lassen sich eigene Reichweiten aufbauen und man kann daher auch ohne mediale Beachtung „stattfinden“.
In deinen Insta-Storys sprichst du immer wieder darüber, wie besonders männliche User und manche Kollegen abschätzig und respektlos dir gegenüber auftreten. Warum glaubst du, sind besonders Künstlerinnen immer wieder solchen Untergriffen ausgesetzt? Beschäftigt dich sowas, oder sagst du: “I pfeif auf euch”?
Das ist ein heißes Pflaster, weil man natürlich nicht verallgemeinern darf und sollte. Dennoch denke ich persönlich, dass Frauen im Allgemeinen stärker über ihr Äußeres bewertet, definiert und objektifiziert werden als Männer. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Wie ich zu dieser Annahme komme? Ich drehe Situationen, die dabei entstehen, gerne um und frage mich, ob einem Mann dasselbe passieren würde. Beispiel: Ein männlicher User hat unter eines meiner Musikvideos geschrieben „Ich hoffe, sie kann besser blasen als singen“. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Frau bei irgendeinem Mundart-Newcomersänger kommentieren würde: „Ich hoffe, er kann besser lecken als singen“. Das ist jetzt natürlich ein Extrembeispiel, aber genau da sehe ich den Unterschied und der zeigt sich auch in harmloseren Formen, aber dennoch demselben Muster folgend. Ein weiteres Beispiel: Ich wurde von einem Radiomoderator relativ am Anfang eines sehr langen Gespräches gefragt, wie sehr mein Aussehen zu meinem musikalischen Erfolg beitragen würde. Ich empfand dies als degradierend, weil es meine Musik und meine Persönlichkeit implizit unter mein Aussehen gestellt hat. Mir ist klar, dass das Aussehen in vielen Fällen musikalische Erfolge begünstigen kann. Weiter hinten im Gespräch hätte mich diese Frage daher auch nicht gestört. So aber hat diese Frage von Anfang an meinen musikalischen „Erfolg“ herabgestuft und auf mein Äußeres reduziert. Nach dieser Frage hat er mir dann erzählt, dass er auf mein Instagramprofil geklickt und sich gewundert habe, wie sehr man denn seinen Körper photoshoppen könne. Eine Kollegin habe ihm dann aber ein Video von mir gezeigt, woraufhin er erkannt habe, dass dies tatsächlich mein echter Körper sei.
Als ich den Moderator im Nachhinein vorsichtig darauf aufmerksam machen wollte, dass ich mich nicht wohl gefühlt habe mit dieser Aussehensfrage gleich zu Beginn, bevor überhaupt über meine Musik geredet wurde (zu der Photoshop-Beleidigung habe ich mich nicht einmal geäußert), meinte er, dass ich doch froh sein solle, dass er sowas hinterfrage, weil ihm persönlich meine Bilder (im Internet) mit rotem Lippenstift und bauchfreiem Oberteil überhaupt nicht gefallen würden, solche Fotos für Künstler*innen unüblich wären und ob denn so ein Fokus auf die Optik sein müsse. Empört darüber, dass mir ein Mittdreißiger ungefragt solche 1950-Ansichten an den Kopf schmeißt (wobei die Künstlerinnen damals mit Sicherheit auch schon roten Lippenstift getragen haben habe ich ihm geantwortet, dass ich ihn nicht danach gefragt habe, ob ihm persönlich meine Fotos gefallen würden. Ich style mich im echten Leben so und werde das auch als Künstlerin nicht weniger machen, ob er das unüblich findet oder nicht. Daraufhin kam dann zurück, dass er nicht verstehen könne, warum ich jetzt so streitsüchtig wäre.
Lange Rede, kurzer Sinn: Dieses Gespräch war für mich Sexismus in seiner reinsten Form und auf derartiges werde ich auch in Zukunft nicht pfeifen, weil mein Aussehen bzw. mein Geschlecht sicher keinem Menschen dieser Welt das Recht gibt, respektlos zu sein. Mit Beleidigungen im Internet ist das etwas anderes. Das trifft Männer ja genauso, wenn auch in anderer Form. Und ich denke, dass es da einfach das Beste ist, das Ganze zu ignorieren, weil die Leute wollen dich damit ja treffen. Wenn sie dich nicht treffen können, haben sie keinen Spaß daran und wer gönnt diesen Leuten schon Spaß?
Arbeitest du gerade an einer neuen Single oder an einem neuen Album? Wenn ja, was dürfen wir uns erwarten?
Mich haben Corona und die ganzen damit verbundenen Einschränkungen (genauso wie zig andere Menschen) überfahren und ich bin immer noch dabei, meine gemachten Pläne erneut umzugestalten. Daher bin ich momentan am Abwägen, welche Singles ich trotz Corona und trotz Auftrittsverbots sowie der fehlenden Feste, der geschlossenen Diskotheken, etc. veröffentlichen möchte. Das ist nicht gerade einfach, weil ich mich vor allem auf Partymusik spezialisiert habe. Aber ich hoffe, mich baldmöglichst zu entscheiden und diese Entscheidung dann auch nicht zu bereuen. Also ja, ich arbeite an neuer Musik und es wird auch wieder einen Partysong geben, nur welcher das genau sein wird steht noch in den Sternen.
In welchem Genre würdest du dich einordnen, wenn dir das überhaupt wichtig ist?
Mir ist das ehrlich gesagt nicht wichtig. Das einzige, das mir wichtig war und ist, ist es, „etwas anderes“ zu machen. Ich nenne meine Musik gerne scherzhaft „Boarischa Alkopop“. Es ist eine tanzbare, urbane Mundartpopmusik, die Spaß machen soll und bestenfalls gut klingen soll.
Wie hat dich die Corona-Zeit in deinem künstlerischen Schaffen beeinflusst?
Wie eben schon gesagt musste ich meine Pläne neugestalten und das ist auch aktuell wieder die größte Herausforderung. Mit meiner Single „Ohne di“ im März diesen Jahres, die zwar nicht krass erfolgreich, aber für meine Verhältnisse mein erster nennenswerter Erfolg war, hoffte ich, dieses Jahr viele Auftritte haben zu dürfen. Ich erhielt tatsächlich auch viele Anfragen, aber es wurde alles abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Das frustriert sehr, zumal meine Konzerte auch nicht dafür gedacht sind, dass das Publikum sitzt, weshalb es auch in naher Zukunft nicht nach Auftritten aussieht. Aber da hilft nur eins: Weitermachen und nicht unterkriegen lassen und vor allem nicht zu sehr in Selbstmitleid zu verfallen, woran ich mich momentan noch übe haha.
Wer sind deine (musikalischen) Heldinnen?
Puh, da fallen mir unendlich viele ein. Ich liebe ja sämtliche Genres. Aber speziell auf Mundartmusik bezogen würde ich sagen: Die Spider Murphy Gang, Rainhard Fendrich, Wolfgang Ambros und Hans Söllner. Und nicht zu vergessen meine sehr guten Freunde Los Brudalos, die sich ohne jegliche Beachtung durch die Massenmedien eine Fanbase im Mundartrap aufgebaut haben und einfach einen köstlichen, selbstironischen Humor besitzen. Das würde ich auch gerne als Schlusswort dalassen: Nehmt euch selbst bitte nicht immer so ernst, liebe Leute. Keiner kommt lebendig aus dem Leben raus, also lasst es krachen, seid gut zu euren Mitmenschen und zu euch selbst! Mundschutzbussi, eure Anja Bavaria