“Im nächsten Leben werde ich Antidepressivum, dann bin ich gefragt”

Als Unternehmer, Künstler, Geschichte-Liebhaber und vor allem Friseur (den Begriff Starfriseur verweigert er), schillert Josef Winkler seit Jahren in der Wiener Kreativszene. Als solcher, sagt er, könne man jeden Tag eine Mondlandung machen, wenn man will. Insgesamt ist der gebürtige Tiroler kritisch geblieben, hält nichts von Selbstüberschätzung und sieht unsere Gesellschaft, so wie einst das römische Reich, am Rande des Ruins. Dass die Registrierkassa-Pflicht und das österreichische Politsystem, speziell wenn es um die fehlende Unterstützung für Unternehmer geht, ihren Teil dazu beitragen, davon ist er überzeugt. Ein unterhaltsames Gespräch über Freud und Leid, unsere instabile Gesellschaft und warum irgendwie nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Lieber Josef, wie immer, meine Einstiegsfrage: wer bist du und was machst du?

Ich glaube, ich kenne mich nicht so gut. Ich weiß relativ wenig über mich, deswegen bin ich immer für Überraschungen zu haben. Sowohl im Positiven wie auch im Negativen. Ich rede mir natürlich ein, dass das in der Kreativszene ein Vorteil ist. So bin ich nicht festgefahren. Nicht festgefahren, das trifft es am Besten.

Kreativszene, damit meinst du deinen Beruf als – mittlerweile – Starfriseur?

Der Friseurberuf ist das Handwerk, das ich ausübe. In Wahrheit ist es ein ultimativer Backstage-Pass, der viele Türen öffnet. Ich lerne viele Menschen und neue Zugänge kennen. Es ist schon interessant welche Optionen sich auftun, nur wenn man die richtigen Leute kennt. Aber ohne Geld oder irgendwelche Seilschaften, denn ich bin meine eigene Seilschaft. Durch meinen Job. Ein wesentlicher Vorteil daran ist, dass man relativ viel Schwachsinn verzapfen kann. Sowie in jedem kreativen Beruf (lacht).

 

Als Friseur hast du jeden Tag die Möglichkeit, eine Mondlandung hinzulegen.

Als selbstdefinierter Künstler darf man ja in der heutigen Zeit alles – jetzt ganz böse geantwortet. Würdest du überhaupt sagen, dass der Friseurberuf Kunst ist?

Jeder, der bereit ist mehr aus seinem Beruf zu machen, und bereit ist sich weiter zu entwickeln, ist ein bisschen ein Künstler. Aber ja: als Friseur hast du jeden Tag die Möglichkeit, eine Mondlandung hinzulegen.

Eine Mondlandung?

Na was Großes! Aus jeder einfachen Vorgabe kannst du was Tolles zaubern.

Du hast deinen Salon hier im 1. Wiener Gemeindebezirk, in einer sehr noblen Lage. Meinst du, dass du objektiv über den Begriff des Friseurberufs sprechen kannst? Es wird ja einen Unterschied zwischen Friseur und Starfriseur geben?

Nein, der Beruf definiert sich nicht durch Prominenz. Der Begriff Starfriseur – was soll das schon heißen? Entweder bist du selbst ein Star, weil du so gut bist, oder du frisierst die Haare von Stars. Das wertet den Beruf weder auf noch ab. Ich habe ein Problem mit dem Begriff Starfriseur. Aber ok, wenn das heißt, dass ich mit den Promis, die ich frisiere, auf einer Welle schwimme, dann kann ich damit leben. So kann ich mir selbst eine bessere Lebensqualität schaffen.

Josef Winkler als Winzer: mit seinem eigenen "Hauswein" in Händen vor seinem Shop im 1. Bezirk /Foto: Markus Neubauer
Josef Winkler als Winzer: mit seinem eigenen „Hauswein“ in Händen vor seinem Shop im 1. Bezirk /Foto: Markus Neubauer
Mehr Geld verdienen?

Aber nein. Geld bedeutet mir rein gar nichts. Außerdem habe ich nicht diese Fähigkeit, Geld anzuhäufen. Deshalb will ich genau so viel verdienen, damit ich alle Notwendigkeiten abdecken kann. Das ist die Lebensqualität, die ich eigentlich meine! In meinem Fall heißt das: während viele Menschen sehr lange warten müssen, um bei Events wie Hollywoodpremieren, Life Ball und Co. dabei sein zu können, fliegt mir das durch meine Arbeit zu. Ich kann in verschiedene Städte reisen, neue Menschen kennen lernen. Das ist für mich Lebensqualität.

Also genießt du deine Privilegien ganz bewusst.

Das ist schon etwas schizophren. Manchmal hab ich das Gefühl, ich habe öfter gewonnen als gespielt, aber ich nehme es gerne an. Ich bin nicht groß genug, die Dinge abzulehnen.

Ganz brutaler Themenwechsel: Ich höre, an deinem Dialekt, du bist Tiroler?

Meine Familie ist eine Südtiroler Familie. Geboren wurde ich in Sterzing, war allerdings als Kind sehr oft in Nordtirol. Im Herzen war ich aber schon immer ein bisserl Wiener. Schon mit 9 Jahren war ich Rapid Fan, obwohl ich zum damaligen Zeitpunkt noch nie in Wien gewesen bin. Ich hatte einen großen Traum: Wenn ich groß bin, wollte ich einmal ins Hanappi-Stadion. Insofern könnte ich tot umfallen, ich habe meine Träume schon erfüllt (lacht). Mit 23, im Jahr 1991, bin ich dann komplett nach Wien übersiedelt.

Meine Firma kam mir mangels Alternativen in die Quere.

Du hast die Friseurausbildung noch in Tirol gemacht und warst danach gleich selbständig?

Nein, nein. Das war anders. Ich wollte mich nie selbständig machen, aber mein Leben hatte einen anderen Plan. So wie bei vielen Dingen, liebt mein Leben die Widersprüchlichkeit: ich habe einen Führerschein, aber kein Auto. Ich habe die Meisterprüfung gemacht aber, damals, keine Firma gehabt. Ich habe Sex, aber keine Familie (lacht). Also kurz und bündig: ich bin reiner Theoretiker (lacht). Spaß beiseite: meine eigene Firma kam mir mangels Alternativen in die Quere. Denn ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich einfach nicht mehr dienen wollte und konnte. Ich habe lange Zeit bei den Besten gedient und habe alle Seiten erlebt. In Tirol lernte ich bei einem echten Choleriker, der seine Mitarbeiter beinahe geschlagen hat. Dann habe ich beim Ossi (in Wien, Anm.) auf Old School gelernt. Danach bei einem, dessen Devise war: der Charakter des Menschen wird über den Umsatz berechnet. Das konnte ich nicht wirklich unterschreiben. Deswegen wollte ich mein eigener Herr sein. Heute diene ich niemandem mehr, außer der Bank, als Kreditnehmer (lacht).

Um Geld zu verdienen, darfst du nicht mehr selbständig werden. In Österreich gilt: Der Unternehmer, das Verbrecherschwein.

Ich habe den Eindruck, es werden immer die Menschen selbständig, die eigentlich gar nie selbstständig werden wollten.

Naja, es gibt zwei Gründe selbständig zu werden: weil du nicht mehr dienen kannst und willst, oder weil du Geld verdienen willst. Wenn es Nummer zwei ist, vergiss es. Um Geld zu verdienen, darfst du nicht mehr selbständig werden.

Weil Österreich kein gutes Pflaster für Unternehmergeister ist?

Ich glaube, das ist auf der ganzen Welt so. Seit dem Ausbruch der Krise 2008 ist alles etwas schwieriger worden. Was Österreich betrifft, sage ich nur ein Wort: Registrierkassa! Schöne Grüße an unseren Finanzminister an dieser Stelle. In Österreich gilt: Der Unternehmer, das Verbrecherschwein.

Oh, da habe ich das richtige Thema angeschnitten. Du bist kein Fan der neuen Registrierkassa?

Ach, was. Wenn es wenigstens so berechnet wäre, dass man als Kleinunternehmer überleben könnte, aber das geht sich einfach nicht aus. Es ist ja so: Die kleinen Unternehmen sind sowieso immer unter Kontrolle, auch ohne Kassa. Wenn es hier große Abweichungen gibt, wird sofort das Finanzamt aufmerksam. Die großen Firmen haben sowieso keine physischen Kassen. Ein Beispiel: Nehmen wir an, ein kleiner Unternehmer nimmt etwas aus der Kassa, sagen wir 1.000 Euro. Abgesehen davon, dass das auch auffallen wird, könnte es ja sein, dass er das Geld in seiner Tasche hat. Was jetzt? Mit 1.000 Euro wird er kaum nach Liechtenstein fahren, um das Geld anzulegen. Ergo: Er gibt es hier aus und es fließt wieder in unsere Wirtschaft. Dieses ganze System denkt so unglaublich kurzfristig. Im ersten Jahr werden sie vielleicht auf ihre geplanten Einnahmen kommen. Spätestens im zweiten Jahr haben sie eine Pleite nach der anderen. Es erwischt einfach immer die Falschen.

Würdest du nicht mehr dazu raten selbständig zu werden?

Sagen wir so: wenn du auf Geld nicht angewiesen bist, kannst du dich selbständig machen. Das war es aber auch schon.

Das klingt nicht optimistisch.

Naja, vor allem wenn du ein Visionär bist, dann wird es sehr schwierig. Man wird dafür bestraft, dass man sich von anderen abhebt.

Mit Kunst Geld zu verdienen wird sowieso immer schwieriger.

Naja, da muss ich widersprechen. Ich glaube nämlich, dass die Nachfrage nach Kunst sowie die künstlerischen Aktivitäten in Krisenzeiten zunehmen. Denn in schlechten Zeiten ist die Kunst des Überlebens gefragt. Und sonstige Kunst darf sich wiederum nicht über Materielles definieren. Entweder hast du in schlechten Zeiten viel Zeit, dann kannst du Kunst machen, oder es geht dir hinten und vorne sowieso nicht z’amm, dann musst du auch Kunst machen – um Stress abzubauen.

Wie viel Prozent deines Alltags ist Kunst und wie viel Routine?

Na gut, zugegeben, ich bin bei 99 Prozent Routine, aber ich habe Phasen, in denen mir etwas Besonders einfällt, das ich dann gleich umsetzen möchte. Das hebt mich dann von anderen ab. Und, dass ich nie in die Trendfalle getappt bin.

Ich würde nie einen Tipp geben, wann man was trägt. Wenn ich dir eine Friseur mache, dann hast du die.

Trendfalle, was meinst du damit?

Dieses Gesülze von wegen: Man tragt nun dies, man tragt nun das. Ich würde nie einen Tipp geben, wann man was trägt. Das ist schon eine bescheuerte Frage an sich. Wenn ich dir eine Frisur mache, dann hast du die. Keine Ahnung was man “jetzt trägt”. Ich weiß schon, was die Leute meinen, aber ich bin kein Modemacher.

Foto: Markus Neubauer
Foto: Markus Neubauer
Was bist du dann?

Ich habe immer schon verschiedene Kunstperformances kombiniert. Die erste war “Magic Styles”. Da habe ich auf der Bühne frisiert und mir Anleihen von David Copperfield geholt. Dann habe ich eine andere Performance geliefert: “Steel and Style”. Nackte Mädels mit Stahlschmuck. Oder “Hair against racism”. Eine Schwarzafrikanerin mit einem Dornenkranz, geflochten aus ihren Haaren. Oder eine amerikanische Ureinwohnerin mit Federschmuck, ebenfalls aus ihren Haaren gemacht. Bei einer Jüdin war es ein Davidstern. Diese Bilder haben wir als Poster versteigert und das eingenommene Geld investierte ich in den Verein “Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit”. Das hat mich schon sehr bekannt gemacht und ich bekam viel Support. Auch von der Politik.

Aus der Politik? Ich hätte nicht gedacht, dass du ein politischer Mensch bist.

Doch, das war sehr positiv und hier muss ich einmal die SPÖ hochhalten. Ein Alfred Gusenbauer, eine Laura Rudas oder eine Barbara Prammer haben mich bei dieser Kampagne enorm unterstützt. Ich muss ganz offen gestehen: ich war damals so begeistert, dass ich mir gedacht habe, vielleicht ist das ja meine Partei. Also habe ich mich überreden lassen ins Personenkomitee von Alfred Gusenbauer zu gehen. Doch mit dem Tag seiner Angelobung als Kanzler, kannte er mich plötzlich nicht mehr. Das war richtig peinlich und hat mich schon getroffen. Aber ich habe gesehen wie es abläuft.

Zurück zu deinem beruflichen Engagement, wie ist es hier weitergegangen?

Eine Sache, auf die ich sehr stolz bin, war “Antike Schönheiten”. Wir haben 16 römischen Fresken mit 16 Designern und 16 Prominenten kombiniert. Das heißt, wir haben 1:1 die Fresken nachgebaut, nur in echt. Die Kleider haben wir so fabriziert, wie sie vor 2000 Jahren gemacht wurden. Wenn man will, war es eine Art experimentelle Kunstgeschichte.

Ein Faible für die Römerzeit ist ja offensichtlich, hier in deinem Geschäft. Hast du eine persönliche römische Symbolfigur?

Trajan. Warum, das kann ich nicht sagen, aber er war eine gute Mischung. Taktiker, Stratege, Intelligenzbolzen.

Wieder zurück in die Jetztzeit, um beim Thema Kunst und Arbeit zu bleiben. Du hast vorhin gesagt, dein Job sei zu 99 Prozent Routine, hast danach aber begeistert von deinen vielen Events erzählt. Was ist jetzt wirklich deine Motivation aufzustehen und deine Arbeit zu machen?

Ehrlich? Mein Kontoauszug (lacht). Nein, aber das Wirtschaftliche spielt natürlich eine große Rolle. Wenn es nicht nur um das nackte Überleben gehen würde, würde ich wahrscheinlich mehr Blödsinn ausprobieren. Aber das ist schon ok so.

Vielleicht gibt es ja auch eine Registrierkassa-Befreiung aus Glaubensgründen. Ich glaube nämlich, dass mir das nichts bringt

Das heißt, du hast einen positiven kapitalistischen Druck?

Ja, ich habe auch eine gewisse Verantwortung meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber. Ich selbst bin ja eher frei von Verantwortung. Bis 1.1.2016 kann ich eh noch lachen, dann kommt die Registrierkassa (lacht). Aber wer weiß, es gibt in Österreich ja die Helmbefreiung und die Gurtbefreiung. Vielleicht gibt es ja auch eine Registrierkassa-Befreiung aus Glaubensgründen. Ich glaube nämlich, dass mir das nichts bringt (lacht).

Apropos, da fällt mir komischerweise eine Frage mit Bezug zu den Römern ein: wie hältst du es mit dem römischen Sklavenhalterstaat?

Also wenn du mich als Chef meinst: nein, nein, ich bin kein strenger Chef. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich nicht schon Leute kündigen musste. Bei der ersten Kündigung bin ich mehr gestorben, als der Mitarbeiter. Wenn du jemanden entlassen musst, weil du ihn dir nicht leisten kannst, kommst du dir wirklich schlecht vor.

Hart in der Sache, weich zu den Menschen.

Was macht einen guten Chef deiner Meinung nach aus?

Das kann ich nicht so pauschal beantworten. Mitarbeiter und Arbeitgeber müssen zusammenfinden. Das ist wie in einer Beziehung. Wenn einer zu rücksichtsvoll ist, kann das den anderen nerven. Umgekehrt ist es so, dass nicht alle die konkrete und harte Sprache verstehen. Ich halte es so: Hart in der Sache, weich zu den Menschen.

Das heißt, die Menschen stehen bei dir im Vordergrund.

Ja auf jeden Fall. Aber Achtung, viele verwenden solche Floskeln gerne in Ausschreibungen. Steht in einem Inserat, dass im Betrieb familiäre Verhältnisse vorherrschen, kannst du davon ausgehen, dass es einen strengen Chef gibt. Ich will gar kein strenger Chef sein. Ich bin nicht auf der Welt, um andere zu verarschen. Ich bin der Meinung, dass wir gemeinsam wachsen sollen. Jeder soll selbst inspiriert sein und mitmachen. Wenn das jemand nicht will und nicht kapiert, dann ist das auch sein gutes Recht, aber dann halt ohne mich. Ich mag keine Leute, die Furcht brauchen, um Respekt zu haben. Respekt und Hochachtung kann man nicht aufgrund einer Firmenphilosophie erzeugen. Die bekommt man, weil man so ist wie man ist. Wenn jemand nur Respekt hat, wenn einer die Stimme erhebt, dann sind die Leute fehl am Platz.

Foto: Markus Neubauer
Foto: Markus Neubauer
Meinst du, dass jeder eine Führungsperson sein kann?

Ja, das kann jeder. Auch bei mir ist es keine One-Man-Show. Mir fällt das bei anderen Salons oft auf, dass sie zwar Kreativität verkaufen und auf einem unglaublich hohen Level arbeiten, aber gleichzeitig erwarten, dass alle Mitarbeiterinnen nur geteilte Zellen von den Chefs sind. Wie Klone. Wenn der eine während dem Schneiden umkippt, kann der andere nahtlos weiter machen. Das mag ich überhaupt nicht. Ich werde ja nicht die Kreativität beschneiden, in dem ich Klone von mir mache. Es gibt in meinem Beruf ganz schön viel Dummheit, du würdest dich wundern. Damit meine ich nicht nur die Klischeedummheit. Ich habe Dinge während meiner Ausbildung erlebt, damals war ich erst 18 Jahre alt, aber wusste schon: das geht nicht.

Ein wichtiger Punkt, den du ansprichst. Lehrberufe haben ja, gerade oft aufgrund von Klischees, keinen guten Stand in Österreich.

Ich muss zugeben, ich habe auch lange einen Minderwertigkeitskomplex gehabt. Das war der Grund, warum ich später die Matura nachgemacht habe und feststellen musste, dass die so ziemlich das Einfachste in meinem Leben war. Aber irgendwie hat es geholfen, mich von diesem Klischeedenken zu befreien. Zumindest ist es so, dass Friseure und Köche die Lehrberufe sind, die – wenn man wirklich gut ist – eine Anerkennung bekommen, ähnlich wie bei Spitzenmanagern. Natürlich muss ich sagen, dass jene Lehrlinge, die jetzt zum Großteil nachkommen, wirklich nur noch die C-Auswahl sind. Deshalb, weil es fast niemanden gibt, der eine Lehre freiwillig macht. Zum Glück entscheidet aber hier noch immer der freie Markt: Wer gut ist, der schafft es. Es ist auch schön zu sehen, dass es viele Akademiker gibt, die später zugeben, dass sie lieber einen anderen Beruf gemacht hätten. Aber kein Wunder, in unserer Gesellschaft.

Im nächsten Leben werde ich Anti-Depressiva, dann bin ich gefragt.

Warum kein Wunder? Das klingt kryptisch.

Ich sage so: im nächsten Leben werde ich Anti-Depressiva, da bin ich gefragt (lacht). Was ich damit meine ist, dass ich jeden Tag so viele Menschen kennen lerne, die alle Probleme haben. Früher, so kommt mir vor, war die Mehrheit normal. Es gab ein paar Ausreißer, aber das war es. Heute ist doch fast niemand mehr mit sich im Reinen. Alleine diese digitale Welt. Die Smartphones. Ich finde das krank. Ich muss ganz ehrlich sagen: ich ziehe mittlerweile Parallelen zur Geschichte und glaube, dass auch unsere Gesellschaft, wie damals das Römische Reich, vor dem Untergang steht. Die Römer sind untergegangen, weil sie alles hatten. Wir haben ein ähnliches Problem. Wenn wir halbwegs bei Verstand wären, müssten wir in der Früh aufwachen und glücklich sein: ich bin nicht krank, kein Krüppel, ich darf frei Leben und es wird auf der Straße nicht geschossen. Aber was machen die Menschen stattdessen? Sie schieben Frust.

Was  ist das Problem, deiner Meinung nach?

Ein bisschen schon die Globalisierung.

Ach, das alte Globalisierungs-Bashing?

Nein, gar nicht. Ich meine Folgendes: Egal ob du nach Paris, Rom, Berlin oder sonstwohin fährst, überall bekommst du heutzutage das gleiche Essen, die gleiche Mode, die gleichen Frisuren. Wo ist das noch das Besondere? Natürlich genieße ich die Vorteile unserer Zeit, wie medizinische Versorgung. Aber ob unsere Zukunft so toll ist, ich weiß es nicht. Wenn ich sogar von 11-Jährigen blöd angeredet werde, nur weil ich kein Smartphone habe, ist das erschreckend.

Hast du ein Rezept für deine Zukunft?

Ich werde jetzt 47 Jahre alt und die Luft ist noch so gut, dass ich atmen kann. Ich kann noch arbeiten und werde wahrscheinlich nicht mehr in einen Krieg ziehen müssen. Sonst hatten wir alles schon einmal in der Geschichte.

Nach dem Fall des römischen Reiches.

Richtig. 100 Jahre nach dem Zerfall des Reiches haben die Menschen wieder an den Teufel geglaubt. Erst im 19. Jahrhundert war die Lebensqualität erreicht, die bereits die Römer hatten.

Schau dir Amerika an. Da siehst du in Filmen in Großaufnahme, wie jemandem mit Säure die Füße weggebrannt werden – aber die Unterhose hat er schon noch an.

Aber das ist schon sehr schwarz gemalt, findest du nicht?

Naja, ich möchte nur darauf hinweisen, in welche Richtung wir uns entwickeln. Schau dir Amerika an. Da siehst du in Filmen in Großaufnahme, wie jemandem mit Säure die Füße weggebrannt werden – aber die Unterhose hat er schon noch an. Du siehst blutende und halbtote Vergewaltigungsopfer, mit vom Körper gerissenen Kleidern – aber den BH, den hat der Täter am Körper gelassen. Da könnte ja eine nackte Brust darunter sein. Es ist einfach idiotisch. Wir kommen in eine irre Zeit. Deswegen bin ich für “Free tits for all” (lacht).

Foto: Markus Neubauer
Foto: Markus Neubauer
Aber woran kann das liegen: kann es sein, dass die Menschen zu viele Freiheiten haben und damit nicht umgehen können?

Ich habe da noch eine Parallele zum römischen Reich: Jahrtausende gab es keine fixen Götter, es gab weitestgehend sexuelle Freiheit , eingeschränkt sogar für Frauen. Auch das allgemeine Bildungssystem war gut. Frauen konnten ebenfalls lesen und schreiben. Das ist in der heutigen Zeit in manchen Staaten leider nicht selbstverständlich. Auch Sklaven konnten übrigens schreiben und lesen. Und dann kam da plötzlich eine Religion, die dir vorgeschrieben hat keusch zu sein, nur an einen Gott zu glauben, brav zu sein. Das waren die Christen. Völlig intolerant. Übrigens haben damals auch die Christen andere Religionen terrorisiert. Man geht auch davon aus, das Tempel von fundamentalistischen Christen niedergebrannt worden sind. Es soll sogar soweit gehen, dass der Brand Neros eigentlich von Christen gelegt worden ist. Und was haben wir heute? Eine sehr aufgeschlossene westliche Welt, sexuelle Freiheit, jeder kann zum Star werden und theoretisch alles machen. Und was passiert? Die Leute schließen sich eine irren Terrorbewegung an.

Eines sag ich dir, je älter ich werde, desto weniger mag ich Menschen.

Du klingst entmutigt.

Eines sag ich dir: je älter ich werde, desto weniger mag ich Menschen. Es wird so viel gelogen und betrogen. Warum kann man nicht einfach die Wahrheit sagen? Dieses Herumtaktieren und dieses ganze Theater ist mühsam. Das ist übrigens auch ein Grund, warum ich keine Kinder habe: in welche Welt soll ich sie denn setzen? Nur, damit sich das Hamsterrad brav weiterdreht? So viele Werte habe ich auf dieser Welt noch nicht kennen gelernt, dass sie es Wert wären weitergetragen zu werden. Wenn es nach mir geht, könnte die Menschheit aussterben, dann könnte sich der Planet wenigstens wieder erholen.

Das klingt ja nach Weltuntergangsstimmung.

Jeder der halbwegs bei Verstand ist, denkt ein bisschen nach. Gerne auch kritisch. Das ist mein Ansatz. Wir müssen uns öffnen und akzeptieren, dass es viel mehr gibt als das, was wir kennen. Wir sind nicht so bedeutend, wie wir glauben. Das sollte sich jeder immer in Erinnerung rufen.

Hat das kritische Denken mit deinem Beruf zu tun? Wie wichtig ist der Friseur als Seelenklempner noch?

Natürlich reden die Leute gerne, denn in Wahrheit sprichst du nicht direkt mit einer Person. Da ist zwar die Körpernähe, aber du sprichst ja über den Spiegel und somit wird die Kommunikation zweidimensional und distanzierter. Da plaudert man so darauf los. Ich persönlich habe das irgendwann abgedreht. Wenn wer redet, dann erzähle ich (lacht). Natürlich ist es Teil des Berufs. Du kaufst nicht die Frisur, sondern das Drumherum. Denn wenn ich zum Friseur gehe, gehe ich davon aus, dass er sein Handwerk beherrscht. Deswegen geht es mehr um die Atmosphäre. Es ist Wellness im Kleinen.

Helden waren mir immer unsympathisch. Sie haben bei den Märchen sinnlosen Stress reingebracht.

Wie definierst du den Begriff Helden?

Nicht sehr positiv. Helden waren mir immer unsympathisch. Sie haben in den Märchen sinnlosen Stress reingebracht. Mir sind diese großen Drachen bei weitem sympathischer. Aber dann kommt der Ritter und sticht das Vieh ab. Schade (lacht). Und dann gibt es noch diese Alltagshelden…ich weiß nicht so richtig. Für mich ist ein Held deshalb negativ konnotiert, weil er entweder etwas vorgibt, was er nicht erreicht, oder er zerstört das Interessante, weil Verbotene. Ob Helden auf dem Schlachtfeld heldenhaft sind, das bezweifle ich. Und ein Alltagsheld bin ich auch nicht. Ich bin nicht der, der den Taxilenker darauf hinweist, wenn der mehr Geld verdienen will und eine extra längere Route fährt. Ich lasse ihn halt, weil ich weiß: auch er muss Geld verdienen, er hat doch nur eine Registrierkassa (lacht).

Würdest du dich selbst als Held bezeichnen?

Wenn man bedenkt, dass man sich tagtäglich in einen brandgefährlichen Alltag stürzt, sich der Gefahr aussetzt durch alles und jeden sterben zu können und dennoch ins Freie tritt, auf die gefährliche Straße, dann ist man schon deshalb ein Held (lacht). Ich sehe mich dennoch nicht als Held. Es gäbe nämlich eine viel bessere Version von mir. Aber aus reiner Faulheit und aus purem Egoismus ist es nicht so. Leider verschleudere ich zu massiv meine Gaben der Götter, und ich hoffe, dass sie mir deswegen nicht zürnen (lacht).

Übrigens, Josef, weißt du, dass du einen Namensvetter in Kärnten hast, der Schriftsteller ist?

Ja, da gibt es eine geile Story dazu! Ich habe einmal einen Anruf erhalten und wurde von einem Literatenzirkel rund um Marcel Reich-Ranicki nach Deutschland zu meiner Buchpräsentation eingeladen. Leider habe ich damals den Irrtum gleich aufgeklärt – nachträglich hätte ich einfach rausfahren sollen und die besten Bände von Donald Duck vorstellen sollen (lacht). Wäre besser gewesen. Aber darf ich zum Thema Künstler noch was sagen?

Ja bitte gerne, erzähl.

Ok, dann möchte ich an dieser Stelle anmerken, was mich an vielen Künstlern stört: das Leidende. Sie leiden immer. Sie können nicht einfach annehmen, was da ist. Warum beklagen sich Autoren, dass sie einen Preis bekommen? Warum ist der erste Satz, der einem zum Nobelpreis einfällt: “Wisst ihr, was ihr mir damit angetan habt?” Na wenn es so schlimm ist, dann bitte nehmt das Geld und spendet es. Mir zum Beispiel. Danke.

 

 

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One reply on ““Im nächsten Leben werde ich Antidepressivum, dann bin ich gefragt””
  1. says: Martin

    Geile Ansage. Das mit der Registrierkassa kann ich bestätigen: das wird uns „Kleinen“ Kopf und Kragen kosten. Schwachsinn pur!

Kommentare sind geschlossen.