Meine Lieblingsfarbe ist bunt

Wenn Menschen von ihrer Leidenschaft erzählen, bemerkt man oft ein Strahlen in ihren Augen. Was aber, wenn sich die Augen einer Person hinter einer dicken Brille verstecken, und sie krankheitsbedingt einem konstanten Zucken ausgesetzt sind? Wie zeigt sich dann, was einen Menschen antreibt? Im Falle Ben Hofers ist es seine Gesamterscheinung, die es zu einer wahrhaftige Freude macht, ihm zuzuhören. Er erzählt uns eine Geschichte, die von dem langen Weg aus der Einsamkeit und Depression, über Musik und Lehrerberuf hin zu wahrem Lebensmut führt.


Ben kommt bereits im 6. Schwangerschaftsmonat zur Welt, muss daraufhin in einem Brutkasten künstlich beatmet werden. Eine unvermeidbare Nebenwirkung: Aufgrund des aggressiven Sauerstoffs löste sich die Netzhaut auf seinem linken Auge vollständig ab, rechts konnte seine Sehfähigkeit mittels Lasertechnik minimal, sprich zu 2-3%, erhalten werden. Mit einer Brille kann Ben sie auf 10% steigern. „Dann wird aus dem Aquarell, das ich sehe, ein Aquarell mit Konturen. Wenn ich das, was ich sehe, malen würde, könnte ich wahrscheinlich Millionen machen“, grinst er. Mit speziellen Kontaktlinsen kann er seine Sehfähigkeit auf maximal auf 30% erhöhen. “Das ist dann eine ganz andere Welt, fast schon Full-HD. Außerdem zucken meine Augen nur dann nicht, wenn ich schräg schaue. Deshalb ist es eine Ehre für jemanden, wenn er von mir schief angeschaut wird.” Ben ist ganz offensichtlich mit Humor ausgestattet.

„Den habe ich mir aber hart erarbeiten müssen. Ich fühlte mich ja seit Beginn meines Lebens als Außenseiter. Schon im Kindergarten. Die Schulzeit war auch nicht immer leicht, einerseits durch meine Behinderung, andererseits durch die begleitenden Depressionen, die teils sehr schwerwiegend waren. Noch dazu kam das Gefühl alleine zu sein und nicht gemocht zu werden. Das ist eine Sache, die ich lange aufarbeiten musste, auch heute ist sie noch nicht ganz aus meinem Leben verschwunden.

Das Chorsingen am Musikgymnasium war eine Sache, die mir zum ersten Mal ein Gefühl von Verbundenheit vermittelte. Gemeinsam etwas zu erschaffen, gemeinsam ‚in der Musik zu sein‘, gemeinsam anderen Menschen Freude durch Musik zu schenken, war etwas Großartiges für mich. Gleiches erfuhr ich dann bei Auftritten mit meiner Band und in einer Jugendgruppe.

Letztlich hatte ich auch immer das Glück, Menschen um mich zu haben, die für mich da waren. Sei es der Direktor des Musikgymnasiums oder meine gesamte Familie. Ich habe immer sehr viel Rückhalt und Unterstützung von meiner Familie bekommen, auch wenn es natürlich eine Zeit gab, in der ich das nicht so wahrgenommen habe. Sie waren trotzdem immer da, und das ist so wichtig.

Natürlich stellt man sich oft die Warum-Frage.

Ich hatte oft den Drang, genauso gut zu sein wie meine Mitschüler. Zu merken, dass dies mit einer Sehbehinderung einfach nicht möglich ist, war immer sehr schwer hinzunehmen. Ich verfiel oft in eine starke Wut, eine Wut auf mich und meine Behinderung. Natürlich stellt man sich oft die Warum-Frage.“

Das Schönste an dieser langen Leidenszeit scheint für Ben zu sein, dass sie nun vorbei ist. Jetzt sitzt mir ein Mann gegenüber, der vor Lebensfreude nur so strotzt. Wann hat das Leben für Ben so richtig begonnen?

Foto: Markus Neubauer
Foto: Markus Neubauer

„Ich bin nach Wien gekommen, um NMS-Lehramt für Musik und Deutsch und parallel dazu Sonderschullehramt zu studieren. Da hat sich dann mein Freundeskreis unglaublich erweitert. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich echten Rückhalt und Support gespürt. Das ist einfach wunderbar. Das Leben im Studentenheim gibt mir das Gefühl eine zweite Familie gefunden zu haben. Deshalb ist der soziale Aspekt auch so ungemein wichtig im Leben eines jeden Menschen. Das wird auch durch die Philosophie bestätigt.” Jetzt kommt Ben in Rage. “Epikur hat bereits vor 2000 Jahren gewusst, wie wichtig Freundschaft ist, und deshalb außerhalb Athens ein Haus für sich und seine Freunde gebaut. Auch die moderne Hirnforschung zeigt, wie wichtig sozialer Rückhalt für einen Menschen ist.“

Es ist einfach okay ich zu sein.

“Ebenfalls sehr geholfen hat mir das Selbstliebeprogramm von Anna.“ Unsere gemeinsame Freundin Anna sitzt mit am Tisch und lächelt bescheiden. “Dabei geht es darum, dass man alles aufschreibt, was einem im Moment Sorgen bereitet und sich dann sozusagen selbst ein Freund ist und sich mit positiven, aufbauenden Zusprüchen über seine Probleme hinweg hilft. Dadurch habe ich gemerkt: Es ist okay, wenn ich nicht so schnell bin wie andere. Es ist okay, wenn ich eher müde werde. Es ist einfach okay ich zu sein. Ich will mich nicht länger hinter meiner Sehbehinderung verstecken. Ja, sie ist da. Ja, manchmal ist es echt blöd mit ihr. Es gibt Dinge an ihr, die mich furchtbar wütend machen, auch heute noch. Aber es gibt auch viele Dinge, die ich gut mache! Es ist noch nicht ganz ausgestanden, aber es wird besser.

Ich habe gute Ziele, denen ich mich immer weiter annähere. Wenn ich dran bleibe, und mich nicht hinter meiner Sehbehinderung verstecke, werde ich sie auch erreichen. Das Gefühl wertvoll zu sein, und etwas für die Gesellschaft zu tun, gibt mir wahnsinnig viel. Ich habe durch meine Behinderung die Möglichkeit, mich in Personen hinein zu versetzen, die ein ähnliches Problem haben.“

Foto: Markus Neubauer
Foto: Markus Neubauer

Ben Hofer hat gelernt, Erfolg anders zu definieren. Er versucht nicht mehr, gleich gut oder besser zu sein als andere, sondern seinen eigenen Weg zu gehen. Ein Teil dieses Weges ist seine Anstellung als Trainer am Institut “SEBUS“ (Schulungseinrichtung für blinde und sehbehinderte Menschen, Anm.), wo er im Rahmen des Programms JUMP für die Ausbildung von 5 Jugendlichen im Alter von 15-24 zuständig ist. Bens ältester Schüler ist also genauso alt wie er.

“SEBUS ist die einzige Blindeneinrichtung in Österreich, die auf Erwachsenenbildung eingeht. Da mitwirken zu dürfen, und Menschen aufgrund meiner Geschichte zeigen zu können, dass es möglich ist, dass man trotz aller Schwierigkeiten weit kommen kann, gibt mir sehr viel. Ich kann so viel von mir selbst weitergeben, persönlich und auch musikalisch. Das ist einfach nur erfüllend. Ich mag Aufgaben, bei denen ich mich voll einbringen kann.

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Ich halte auch von Zeit zu Zeit Vorträge über meine Sehbehinderung. Jedoch hätte ich den großen Wunsch öfter mit Menschen über das Thema sprechen zu können, um ihnen die Scheu davor zu nehmen.

Ich baue meine Vorträge folgendermaßen auf: Zuerst spreche ich über meine schulische Laufbahn, über die Hilfestellungen, die ich damals erhalten habe. Wie zum Beispiel die doppelte Zeit für Schularbeiten oder ein Joystick-gesteuertes Tafellesegerät. Danach spreche ich über mein Alltagsleben mit Behinderung und zum Schluss auch über die Insider-Stories.“ Er nimmt seine Brille ab und beugt sich schelmisch nach vorne. “Die aber nur dann erzählt werden, wenn alle aufmerksam zuhören.“

Das Allerwichtigste ist, dass Menschen so schnell wie möglich raus in die große weite Welt kommen.

Jeder Mensch, der selbst mit einer Behinderung lebt, oder sich mit dem Thema beschäftigt, stellt sich früher oder später die Frage nach dem Sinn dieser Beeinträchtigung. Ben hat nach seiner langen Zeit des Leidens seine ganz persönliche Antwort gefunden:

“Der Sinn ist für mich, dass ich anderen Menschen durch meinen Umgang mit meiner Situation Mut machen kann. Ich will Menschen inspirieren, ich möchte mit Eltern von sehbehinderten Kindern sprechen, um ihnen zu zeigen: Es gibt da was, es ist nicht alles verloren. Man hat doch die Möglichkeit, dass man viel erreicht, man darf nur nie aufgeben. Und man braucht als Kind auch die Freiheit zu leben, man soll so viel wie möglich ausprobieren dürfen. Neue Leute, neue Themen, neue Hobbies kennenlernen. Einfach das gesamte Spektrum des Lebens erfassen können um dann zu sagen ‚Ja, das ist es, was ich machen will. Und ich lasse mich von niemandem einschränken!’“ Ben ist sichtlich euphorisch. “Ich finde, das Allerwichtigste ist, dass Menschen so schnell wie möglich raus in die große weite Welt kommen. Weil man dann gezwungen ist, Dinge zu lernen.”

Eines dieser Dinge, die Ben gelernt hat, ist die Musik. Sie begleitet ihn schon sein Leben lang.

“Ich würde sogar sagen, für mich ist Musik Leben. Ich spiele Cello und Klavier, habe auch E-Bass und Orgel gelernt. Als Kind schon habe ich davon geträumt, Komponist zu werden. Jahrelang habe ich auch Kompositionsunterricht genommen. Da war leider das Problem, dass ich die Noten ja nicht lesen kann. Deshalb habe ich viel nach Gehör gelernt, kann mich somit sehr schnell in der Harmonie eines Stückes zurecht finden und die richtigen Akkorde nachspielen. Improvisation ist ein wichtiges Werkzeug in meinem Leben, durch das ich mich ausleben und meine Gefühle ausdrücken kann.”

Das heißt aber, dein Traum Komponist zu werden ist… “noch nicht gestorben! Ich habe ja schon bei zwei Trash-Filmen die Musik geschrieben und habe mittlerweile mein eigenes Soundcloud-Profil.“

Foto: Markus Neubauer
Foto: Markus Neubauer

Da wir bis hier geduldig zugehört haben, belohnt uns Ben mit seinen Insider-Geschichten.

“Naja, man erlebt schon interessante Sachen mit einer Sehbehinderung. Einmal war ich, auch so schön angezogen wie heute, am Weg vom Unterricht nach Hause. Als ich so die Rolltreppe hinunter fuhr, überholte mich plötzlich eine Frau von hinten und kniete sich vor mir nieder, um mir die Schuhbänder zu binden. Und das in Rekordzeit. Ohne ein Wort zu sagen, war sie auch wieder verschwunden. Ich wollte mich bedanken, doch sie war schon weg. Das war schade, denn sie ist sehr hübsch gewesen.“

Grinsend erzählt Ben auch von einer zweiten Begebenheit: “Ich wartete bei einer U-Bahn Station auf eine Freundin, als eine ältere Frau auf mich zukam und etwas aus ihrer Handtasche holte. Die Dame wollte mir ernsthaft Geld anbieten. ‚Nehmen Sie, nehmen Sie, Sie können’s brauchen.‘ Zum Glück kam schon meine Freundin angelaufen und zog mich weg. ‚Ben, auf welche Leute triffst du immer?’“

Anhand letzterer Geschichte merkt man, dass viele Menschen nicht wissen, wie sie einem behinderten Menschen begegnen sollen. Ben ist kein armer Kerl, der mitleidige Blicke braucht. Ben ist ein Mann, der sich wünscht, wie jeder andere behandelt zu werden.

Was wäre die Welt, würde es nur eine Farbe geben?

“Deshalb ist es so wichtig, dass das Exklusive aufhört, und wir zu einer inklusiven Gesellschaft werden, wo Menschen mit Beeinträchtigung und Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen zusammen leben lernen. Eine Gesellschaft, die lernt, dass es Unterschiede gibt, dass es manchmal notwendig ist, sich aufeinander einzustellen. Es gibt unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Begabungen, Fähigkeiten und vor allem Talenten. Was wäre die Welt, würde es nur eine Farbe geben? Sie wäre langweilig und öde. Meine Lieblingsfarbe ist bunt. So wie die Vorstellungen und Träume der Menschen.

Es wäre so wichtig, die Ängste vor Menschen mit Behinderungen abzubauen. Vorurteile wie ‘Menschen mit Behinderung sind langsamer beim Arbeiten oder öfter krank‘, können nur reduziert werden, wenn man ihnen Chancen gibt. Offenheit ist hier das Schlagwort. Heterogenität als Normalität. Es wäre schön wenn ich, durch Vorträge oder Ähnlichem, meinen Teil zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen könnte. Als Inklusions-Botschafter, sozusagen.

Ich möchte aber auch ehrlich anmerken, dass es noch sehr vieles gibt, das ich noch nicht weiß. Vielleicht bin ich noch zu unwissend, um in dieser Richtung viel zu bewegen, aber auf jeden Fall ist es ein großes Ziel von mir!

Ben Hofer ist ein Mann, der gelernt hat, seine Sehbehinderung nicht mehr als Fluch, sondern als Werkzeug zu sehen. Obwohl er sich selbst nicht als Held bezeichnen möchte, liefert er, wenn auch unbewusst, eine treffende Beschreibung seiner Person:  “Ein Held ist für mich ein Mensch der vielen anderen Menschen Gutes tut, und sich nicht von seinen Überzeugungen abbringen lässt. Einfach immer weiterkämpfen und nie aufgeben, ansonsten kann man ja eh gleich daheim bleiben.“

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7 replies on “Meine Lieblingsfarbe ist bunt”
  1. says: Erich

    Beeindruckende Persönlichkeitsentwicklung seit der Zeit, als du die Schule verlassen hast! Toll, dass dir die Musik dabei geholfen hat! Mach‘ weiter so und lass‘ dich bloß nicht unterkriegen.

  2. says: Oliver T.

    Ben, ich bin ehrlich stolz auf dich, ich merke, du hast deinen persönlichen und vor allem für dich richtigen Weg gefunden! Sei stolz darauf, und baue und verstärke ihn weiter, bis eine richtig feste, unerschütterbare „Autobahn“ daraus wird!

    liebe Grüße,

    Oliver T.

  3. says: Harald Pekari

    Die letzten Auftritte habe ich stets im stillen mitverfolgt, es war bezaubernd! Beim nächsten mal werde ich dir lieber Ben ein Geschenk überreichen welches ich von einer Asienreise mitgebracht habe. Ich hoffe das du dafür Verwendung haben wirst…
    Liebe Grüße
    HARALD

  4. says: Patricia

    Vielen Dank für dieses fabelhafte Beispiel! Es zeigt, dass Handicaps stets auch als Hinweis und Teil eines genialen Lebensplanes gesehen werden können.

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